Sonneberg – warum die Aufregung?
Die Landratswahl im fränkischen Sonneberg, Thüringen, nicht weit von Coburg, ist sogar in der internationalen Presse beachtet worden. Denn es wurde der AfD-Kandidat Robert Sesselmann gewählt. Er besiegte knapp einen CDU-Kandidaten.
Grosses Geschrei der bürgerlichen Parteien und ihrer Sympathisanten. Als ob eine Welt untergehen würde. Eine erste Verantwortungs- und Machtposition für die AfD, die im Laufe der Jahre immer rechtsextremer geworden ist und vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Soll man sich aufregen? Ja und nein.
Die AfD ist die wichtigste derzeitige Version des deutschen Rechtsextremismus, der die Bundesrepublik seit ihrer Gründung in unterschiedlichen Ausformungen mit unterschiedlichem Erfolg heimsucht. Von der Sozialistischen Reichspartei und dem Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) über die Republikaner bis zur Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gab es immer wieder rechtsextreme Parteien. Doch keine hat sich so fest etabliert wie die jetzige AfD. Also ist die AfD das Problem?
Nein, das Problem sind ihre Wähler, Erstmals seit 1945 existiert in Deutschland eine ernstzunehmende rechtsextreme Partei, die in Sonneberg einen winzigen Zipfel der Macht erhielt, der Macht, nach der sie nun bundesweit strebt.
Bundesweit? Zunächst einmal in Ostdeutschland, wo in Sachsen und Thüringen die AfD die stärkste Partei ist (in den anderen ostdeutschen Ländern ist sie zweitstärkste Partei). Und nun einen Landrat hat. Warum nur einen? Wo man stärkste Partei ist, sollte man vergleichbare Zahlen an Landräten und anderen demokratischen Würdenträgern haben. Hat die AfD (noch) nicht.
Warum lieben die Ostdeutschen die AfD so sehr? Wie auch immer die Gründe lauten: es ist denkbar, dass sie sich in Zukunft verstärken, zum Beispiel:
- Ankunft von mehr Flüchtlingen/Asylsuchenden aus der Ukraine und Afro-Asien;
- Mehr staatliche Unterstützung für diese Flüchtlinge;
- Stärker anti-russische Politik in Berlin und Westdeutschland;
- Stärkere Ostkritische Stimmung in der westdeutsch-dominierten Presse
MIt anderen Worten: die AfD könnte einer goldenen Zukunft in Ostdeutschland entgegen gehen. Frau Weidel AfD könnte ihr Streben, Bundeskanzlerin zu werden, energisch propagieren. Eine Wirtschaftskrise könnte auch in Westdeutschland der AfD weitere Erfolge bringen und Koalitionen mit anderen Parteien unvermeidlich machen.
Wäre das der richtige Zeitpunkt, um Koffer zu packen für die Auswanderung?
Gemach, gemach!
Zwei Hindernisse stellen sich der AfD bei dem Streben nach Machtergreifung in den Weg: die Wiedervereinigung hat Ostdeutschland die Rückkehr zur Selbständigkeit unter AfD-Führung verbaut. Unlöslich verheiratet!
Selbst wenn Ostdeutschland die Verselbständigung gelänge, so existierte immer noch das gemeinsame Europa, das nationale Einzelgänge – Ungarn, Polen, Italien – erschwert, wenn nicht gar verhindert. Von den wirtschaftlichen Perspektiven ganz zu schweigen (Brexit!).
Also Koffer wieder auspacken und weiter deutsch bleiben! Versuchen, mit der AfD und ihren Wählern zu leben und auf bessere Zeiten und andere Wähler zu hoffen.
--ed
UpdateUmfrage unter Ostdeutschen: Die Sehnsucht nach der „autoritären Herrschaft“
Antisemitische Ressentiments sind weit verbreitet
Ausländerfeindliche Aussagen werden von vielen akzeptiert
Der Wunsch nach einer autoritären Herrschaft ist ausgeprägt
Die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen ist stark ausgeprägt
Mehr als 20 Prozent halten die Aussage für zutreffend, dass man Hitler ohne die Vernichtung der Juden als großen Staatsmann ansehen würde
Zwei Drittel der Befragten sehnen sich außerdem nach der DDR zurück.
Tagesspiegel
Update II
Am Tag nach der Wahl von Sesselmann tauchte ein Video auf von einem Mann, das der Guardian wie folgt beschreibt:
Das Filmmaterial zeigt einen Mann, der ein T-Shirt mit dem Bild eines Soldaten aus der Nazi-Zeit sowie kurze Hosen in den schwarz-weiß-roten Farben des aufgelösten Deutschen Reichs oder Kaiserreichs trägt. Obwohl das Reich 1918 zusammenbrach, behaupten revisionistische Gruppen, die den modernen deutschen Staat ablehnen, dass er immer noch existiert.