Deutsche Industrie – ein Auslaufmodell

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Der Beginn der deutschen Industrie wird meist mit dem Jahr 1835 und dem Bau der ersten Eisenbahn verbunden, die als Katalysator für die beginnende Industrialisierung wirkte, 

Seit fast zwei Jahrhunderten gilt Deutschland als eine der führenden Industrienationen. Bald wird dies nicht mehr der Fall sein, da die Deindustrialisierung Deutschlands in vollem Gange ist.

Im Jahr 1850 gab es in Deutschland (im damaligen Gebiet) schätzungsweise rund 2,772 Millionen Beschäftigte im Bereich Industrie und Handwerk

1959 waren mit rund 11,3 Millionen die meisten der insgesamt gut 25 Millionen Beschäftigten im Sektor "Industrie und Handwerk" aktiv.

Laut der Deutschland.de-Webseite gab es 2020 nur noch rund 8 Millionen Menschen im verarbeitenden Gewerbe.

Die deutsche Industrie, genauer gesagt das Verarbeitende Gewerbe, zählt aktuell rund 5,4 Millionen Beschäftigte (Stand August 2025).Die Beschäftigtenzahl sinkt seit 17 Monaten in Folge bei einer Bevölkerung Deutschlands 2025 von 83,5 Millionen (6.4 %).

Der Anteil der Deutschen, die in der Industrie und im verarbeitenden Gewerbe arbeiten, ist somit von 15,4 % im Jahr 1910 auf heute 6,4 % gesunken. Obwohl dieser Trend in vielen Industrieländern zu beobachten ist, kann Deutschland in den letzten Jahren als Sonderfall betrachtet werden.

Beispiel China:  Rund 29,9% der chinesischen Beschäftigten arbeiten in der Industrie.

Von 2013 bis heute sind unverändert rund 30 Prozent der Arbeitenden in der Industrie tätig.

Beispiel Japan

In Japan sind etwa 24,2 % der Erwerbstätigen in der Industrie beschäftigt, wobei allein auf das verarbeitende Gewerbe im Jahr 2023 etwa 15 % der Gesamtbeschäftigung entfallen. Der Anteil der Beschäftigung in der Industrie an der Gesamtbeschäftigung in Japan:  33,2 %

im Jahr 1991 25,6 %,

im Jahr 2017 ein Allzeithoch von 34,8 %,

im Jahr 1992 ein Rekordtief von 25,2 %

Da Japan führend in der Robotisierung von Fabriken ist und China aufgrund seiner eigenen schrumpfenden Bevölkerung dem Beispiel Japans folgt,

Laut der International Federation of Robotics entfiel in den letzten Jahren etwa die Hälfte aller weltweit installierten Industrieroboter auf China, das damit in der Rangliste der Roboterdichte (Roboter pro 10.000 Beschäftigte in der Fertigung) einen rasanten Aufstieg erlebt hat. Humanoide müssen sich nicht mit dem Bruttogehalt begnügen, wenn sie nachts und am Wochenende arbeiten und keine Krankheitstage haben (Wartungsarbeiten und Ausfallzeiten bleiben dabei ungewiss).  (Newsweek)

muss man sich fragen, ob ein Land wie Deutschland mit seiner geringen Zahl an Arbeitskräften in Industrie und Fertigung und seiner begrenzten Robotisierung überhaupt noch als Industrienation betrachtet werden kann.

In Deutschland gehen Investitionen und Exporte zurück. Besonders in der Industrie ist die Zurückhaltung groß: Nur 22 Prozent der Betriebe planen mehr Investitionen, während fast 40 Prozent sie zurückfahren. "Statt in Innovation und Wachstum zu investieren, konzentrieren sich viele Unternehmen lediglich auf Ersatzinvestitionen – ein klares Alarmsignal für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts", mahnt DIHK-Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov . "Wenn sich dieser Trend fortsetzt, droht Deutschland eine weitere Deindustrialisierung."  "Nach 2023 und 2024 steuern wir mit 2025 auf das dritte Rezessionsjahr in Folge zu – die längste Schwächephase in der deutschen Nachkriegsgeschichte"

DIHK Konjunkturumfrage 2025

"Gesunkene Wettbewerbsfähigkeit und zunehmender Protektionismus bedrohen die exportorientierte deutsche Industrie, die bisher immer ein Motor des Wirtschaftswachstums war", sagt DIHK-Außenwirtschaftschef und Chefanalyst Volker Treier.

Besonders düster bleibt die Lage der Industrie. Wie in der Vorumfrage bewerten dort nur 19 Prozent der Betriebe ihre aktuelle Geschäftssituation als gut, während ein Drittel sie als schlecht einschätzt.

"Der Trend zeigt mittlerweile seit sieben Jahren nach unten. Das haben wir so noch nie erlebt. Die Wirtschaft ist in einem Teufelskreis aus überbordender Bürokratie, schlechten Rahmenbedingungen, schwacher Nachfrage und hohen Kosten gefangen."

Besonders in der Industrie sind die Beschäftigungspläne schwach: Dort streicht fast jedes dritte Unternehmen Personal, nur 11 Prozent beabsichtigen, einzustellen. "Damit zeigt sich der drohende Beschäftigungsabbau im Verarbeitenden Bereich unter allen Wirtschaftszweigen am deutlichsten", so Treier. "Die Zeiten, in denen wenigstens der Arbeitsmarkt noch stabil war, sind vorbei."

Laut Helena Melnikov unterstreichen die aktuellen Konjunkturdaten den enormen Reformdruck: "So wie bisher kann es nicht weitergehen. Die Politik muss den Unternehmen endlich das Signal geben, dass ihre Sorgen ernst genommen und die drängenden Probleme entschlossen angepackt werden." 

Dazu gehörten weniger Bürokratie, bezahlbare Energie, eine funktionierende Infrastruktur und eine wettbewerbsfähige Steuerlast.

DIHK
 
Kommentar

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer jammert auftragsgemaess. 

Dennoch weist die Darstellung der Lage der deutschen Industrie eine Reihe von Schwächen auf. Deutschland ist mit 0,83 Milliarden $  2024 (wikipedia) nur das viertstärkste Industrieland nach China (4,6 Milliarden $), den USA (2,9 Milliarden $) und Japan (0,87 Milliarden $) und liegt damit vor Russland und Weißrussland (0,52 Milliarden $) sowie Indien (0,49 Milliarden $). Die Ziffer für Russland und Weißrussland wurde unter Verwendung des Multiplikators (1,52) berechnet, der in der Bewertung der Verteidigungsausgaben enthalten war.

Die deutsche Industrie hat mit zahlreichen Problemen zu kämpfen – ebenso wie die Industrie in anderen Ländern auch. Zwei Themen scheinen dabei besonders wichtig: hohe Energiekosten und hohe Arbeitskosten. Es wäre übertrieben zu sagen, dass der Verlust von billigem russischem Öl und Gas der deutschen Industrie den Todesstoß versetzen wird, aber diese Annahme ist nicht völlig falsch.

Wenn man heutzutage Güterzüge mit den vier Buchstaben GA TX (Georgia – Texas) auf ihren Kesselwagen durch Deutschland rollen sieht, weiß man, dass Ölimporte aus den USA keine Lösung für das Problem sein können.

Seien wir ehrlich: Das Energieproblem lässt sich nicht durch industriefreundliche Gesetze oder Robotisierung lösen. Auch Roboter verbrauchen Energie.

Union und SPD haben sich in ihrem Koalitionsausschuss auf die Einführung eines Industriestrompreises für energieintensive Unternehmen geeinigt. Bundeskanzler Friedrich Merz sagte, dass ein vergünstigter Preis von etwa fünf Cent pro Kilowattstunde für die Jahre 2026 bis 2028 gelten solle. (Die Zeit)

Selbst die Dekarbonisierung der Wirtschaft durch erneuerbare Energien kann nur langsam und in begrenztem Umfang helfen. Grundsätzlich gibt es zwei Auswege: Kapazitäten stilllegen oder Personal abbauen. Oder beides gleichzeitig.

Japan löst das Problem trotz niedriger Arbeitskosten (im Vergleich zu Deutschland) mit zunehmender Robotisierung. Das hohe Lohnniveau, das die deutsche Industrie in Zeiten billiger Energie erreicht hat, ist nun nicht mehr tragbar – was die DIHK in ihrer Analyse nicht erwähnt.

Burkhart Fürst

 

Wie soll Deutschland auf die fortschreitende Deindustrialisierung reagieren?

Die erste, naheliegendste Reaktion lieferte Bundeskanzler Merz: Die Bundesregierung will sich in Europa für einen besseren Schutz der deutschen Stahlindustrie einsetzen. Es gehe für die Branche um die Existenz, sagte Bundeskanzler Merz nach Beratungen mit Vertretern der Industrie in Berlin. Zugleich betonte der CDU-Vorsitzende die Notwendigkeit eines Industriestrompreises. Ohne eine deutliche Absenkung der Energiekosten sei die Stahlindustrie in Deutschland nicht überlebensfähig, erklärte Merz. Die Produktion sei hierzulande eine Schlüsselindustrie. An ihr hingen die Schicksale zahlreicher Unternehmen mit ihren Mitarbeitern. Merz fügte hinzu, die Politik müsse sich mit allen Kräften für den Erhalt der Branche einsetzen.

Ein Industriestrompreis? Das klingt nach einer Subvention, um eine sterbende Industrie auf Kosten der Steuerzahler am Leben zu erhalten. Die Alternative wäre es, die Stahlindustrie und ihr Umfeld ihrem Schicksal zu überlassen und zu überlegen, wie die leeren Hütten und Fabriken sinnvoll genutzt werden können. Industrielle Ruinen abreißen, an Unternehmer und Kreative vermieten?

Blauer Himmel über dem Ruhrgebiet?  Was wird aus denjenigen, die jetzt arbeitslos werden? Die deutsche Industrie wird zwar nicht verschwinden, aber sie wird schrumpfen. Massenware wird ihren Markt an China, Japan, Korea und andere verlieren. Premiumprodukte – im Falle von Autos Porsche, Mercedes, Maybach – werden überleben, ebenso wie ähnliche Marken in Großbritannien, denn der Ruf der Marke rechtfertigt hohe Preise.

Deutschland wird zu einem Nischenhersteller, klein, aber fein. Aber was wird aus den Millionen von Industriearbeitern, die aufgrund von Fabrikschließungen und Robotern entlassen werden? Wird ein wohlwollender Merz (oder sein Nachfolger) sie auffangen, umschulen, ihnen die Frühverrentung ermöglichen? Hat er einen Plan dafür?

Heinrich von Loesch
 
 
„Wir arbeiten zu wenig“
 
Die Relation zum Ausland ist entscheidend für die Betrachtung der Produktivität. Die Schweizer arbeiten 200 Stunden mehr im Jahr, die Amerikaner 400, die Polen 600 und die Chinesen 800. Wir haben die allermeisten Ferien und Feiertage, wir haben trotzdem die meisten Krankheitstage. Wir müssen einfach mehr arbeiten. Wir hatten sehr komfortable Zeiten. Und es ist nicht verwerflich, wenn man mal in die Ferien geht, das tue ich auch.
Wir hatten in der Vergangenheit aber auch glänzende Rahmenbedingungen: niedrige Zinsen, günstige Rohstoffe, den teuren Euro, keine Kriege und China war technologisch nicht so stark. Das war komfortabel. In diesem Umfeld haben alle Tarifpartner, nicht nur die Gewerkschaften, gesagt: Dann legen wir halt noch was drauf, wir können uns das ja leisten. Das ist jetzt vorbei. 
Wir müssen Bürokratie abbauen. All diese unsinnigen Dokumentationspflichten, die nie gelesen werden: weg damit. Die Ämter müssen dringen digitaler und professioneller werden. Die Wartezeiten für Genehmigungen sind der helle Wahnsinn. Wenn man neue Hallen bauen will und dann jahrelang auf Genehmigungen warten muss, verlieren Sie die Lust und gehen möglicherweise nach Polen oder in die Schweiz. 
Wir sind innovativ und haben allen Grund, an unser Land zu glauben. Aber wir müssen jetzt den nötigen Schwung kriegen.
Sueddeutsche Zeitung

 

 

 

 

 

 

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