Vier Kalifen und ein konfuser Koloss

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   Nicht wenige Personen sehen sich derzeit als Führer aller Gläubigen, als amīr al-muʾminīn, als Kalif. Es gibt Kalifen der Ahmadiyya, der Ismaeliten, gewisser Sufi-Orden. Und es gibt oder gab Abu Bakr al-Baghdadi, den selbsternannten Kalifen des Islamischen Staats – Daesh genannt. Neben ihm, der auf der Flucht oder tot ist, gibt es noch drei weitere religiöse Führer, die sich als amīr al-muʾminīn ansehen.

   Die saudischen Könige von Arabien, die ihr Land frech Saudi-Arabien genannt haben, sind dank verwandtschaftlicher Verflechtung mit dem Sektengründer Mohamed Abdul Wahhab zugleich oberste Priester der Wahhabiten, die sich als einzige echte Gläubigen ansehen und Anspruch auf die Führung des sunnitischen Islam erheben. König Salman verkörpert also das Kalifat der Wahhabiten.

   Sein Konkurrent und Erzgegner um die Führung der Gläubigen ist Ayatollah Ali al-Khamenei, oberster Priester des Iran und de facto Kalif der Schiiten (die den Titel nicht kennen), auch wenn seine Autorität gelegentlich von Ayatollah Ali al-Sistani, dem obersten Schiitenpriester des Irak, bezweifelt wird.  Irans starke militärische Expansion in Irak, Syrien und Jemen unterstreicht den Führungsanspruch Khameneis in einer vom Niedergang der Sunniten und dem Aufstieg der Schiiten gezeichneten islamischen Welt.

   Ein weiterer Kalif hat in den letzten Monaten erstmals seinen Führungsanspruch der Welt unverhüllt präsentiert: Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei. Er mischt jetzt in allen islamischen Fragen mit als sei er der Höchste. Ob in Malaysia, in Myanmar, in Libyen oder im Sudan, in Madagaskar oder in Bosnien, neuerdings auch in Katar, überall taucht Erdogan auf, baut Moscheen, schickt Emissäre oder ein Kriegsschiff, Waffen oder Nahrungsmittel.  Seiner Umtriebigkeit liegt eine religiöse Zielsetzung zugrunde: die Etablierung der Führerschaft der Moslembrüder in allen sunnitisch dominierten Staaten. Für Moshe Ya'alon ist Erdogan der Führer der Moslembrüder geworden, eine Rolle, die der Obertürke mit Eifer und grossem Einsatz wahrnimmt.

   Im Prinzip sind diese vier Kalifen einander spinnefeind: ihre Querelen dominieren das Geschehen in Nahen Osten, seit der Koloss USA auf seinen Führungsanspruch verzichtet hat. Erst Obamas Zurückhaltung in der Erkenntnis, dass man sich im Nahen Osten mit dem Versuch, Frieden zu bringen, nur Ärger einhandelt. Und nun die Konfusion im Weissen Haus, das von einem Extrem ins andere taumelt und amerikanische Innenpolitik exportiert. Weil Obama den pseudo-demokratischen Iran für respektabler hielt als die korrupten Golfmonarchien mit ihrem Terrorexport, muss Trump nun den Gegenpol, nämlich Saudi-Arabien, unterstützen, gegen den Iran und gegen Katar.

   Ausgerechnet Katar. Im Jahr 1965 hatte ich das Vergnügen, als vermutlich erster deutscher Journalist Katar zu besuchen. Doha war damals ein staubiges Nest mit Lehmgebäuden, dessen Bazarstrasse, der Suk, ziemlich lang war. Auf der Suche nach etwas Bemerkenswertem fuhr ich ein paar Kilometer nach Süden zu einem von den Türken erbauten Fort, Al Wajbah, Ort einer historischen Schlacht, in der die Kataris 1893 eine osmanische Einheit besiegten und damit den Beginn der Unabhängigkeit ihres Mini-Staats erkämpften. Nun sind die Türken nach 124 Jahren zurück in Katar mit ihrem Militär, um das Ländchen gegen die Glaubensbrüder in Saudi-Arabien und Abu Dhabi zu verteidigen.

   Saudi-Arabien, Bahrein, die Emirate, Ägypten und ein paar Mitläufer haben gemeinsam einen Boykott und eine Art Belagerung Katars verkündet, weil Katar angeblich den Terrorismus unterstützt. Das ist eine lächerliche Beschuldigung, denn alle Scheichtümer am Golf tun das in einer oder anderer Form, und der schlimmste Terrorpate ist fraglos Saudi-Arabien.

   In Wirklichkeit werfen die Nachbarn Katar vor, die Moslem-Bruderschaft zu unterstützen und freundlich zu Iran zu sein. Katars Vorliebe für die Moslembrüder ist in der Tat bemerkenswert, denn sie sind Feinde aller Monarchien. Der populäre Fernsehprediger Yusuf al-Qaradawi gilt als spiritueller Leiter der Brüder und geniesst Gastrecht in Katar. Vielleicht ist es ihm gelungen, den jungen Emir Tamim bin Hamad Al Thani von den Lehren der hundert Jahre alten Bruderschaft zu überzeugen. Die Mitglieder der Boykottfront jedenfalls hassen die Moslembruderschaft und nehmen Katars “Verrat” übel.

   Kaum hatten die Saudis den Boykott Katars verkündet, da eilte Brüder-Chef Erdogan den Kataris zu Hilfe, erst mit dem scheinheiligen Angebot, zu vermitteln und danach mit der Lieferung von Nahrungsmitteln, Waffen und Truppen. Dass das reiche Katar die Hilfe üppig belohnen wird, steht ausser Zweifel. Bleibt nur die Frage, wie es die Türken eines Tages wieder los werden wird. Als die Saudis alle Werke Yusuf al-Qaradawis verboten, eilten ihm türkische Religionsgelehrte prompt zu Hilfe, wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtet: “Wir erklären, dass wir mit dem Katarischen Staat und Gelehrten wie Qaradawi sind, die gegen den Imperialismus stehen. Wir fordern, dass die irrationale Aktion gegen sie endet.”

   Dass die Türkei an allen Fronten für Katar und die Brüder kämpft, hat noch einen anderen Grund: angeblich hat Abu Dhabi durch den berüchtigten Palästinenserführer Mohamed Dahlan im vergangenen Jahr der Gruppe des Erdogan-Feindes Fethullah Gülen 3 Milliarden Dollar für die Durchführung eines Militärputsches in der Türkei gegeben. Der Putschversuch fand im Juli 2016 statt, aber Gülens Beteiligung ist mehr als fraglich. Die türkische Gerüchteküche brodelt wie immer und zögert nicht, einen fremden Kronprinzen,Mohammed bin Zayed al-Nahyan von Abu Dhabi, zu beschuldigen.

   Ungewöhnlich ist das Verhältnis zwischen der Türkei und dem Iran. Die Türkei half dem Iran jahrelang kräftig, die westlichen Sanktionen zu unterlaufen, vor allem mit Goldhandel. Erdogan scheint den schiitischen Glaubensfeind zu bewundern: sein Bemühen, die Türkei, ihre Politik, ihr Bil;dungswesen und ihr Militär zu islamisieren deutet darauf hin, dass er eine demokratisch dekorierte Theokratie nach iranischem Vorbild anstrebt, wenn auch sunnitisch und mit einem Präsidenten statt einem Priesterkönig als oberstem Chef. Es könnte sein, dass Erdogan den Iran-freundlichen Kurs Katars massgeblich mitträgt. 

   Dass die deutsche Bundesregierung angeblich die Position Katars unterstützt ist eine unnötige und gefährliche Teilnahme an einer Schlammschlacht islamischer Sekten. Wer sich auf die Seite Saudi-Arabiens schlägt, fördert Salafisten und Dschihadisten weltweit; wer mit Katars Position sympathisiert, unterstützt die Moslem-Bruderschaft und den Iran. Egal, ob Saudi-Arabien, Katar, Abu Dhabi, Dubai oder Kuweit, alle Scheichtümer fördern irgendwelche islamischen Radikalisten, darunter al-Qaeda und Daesh, den Islamischen Staat und ihre Ableger in Jemen, Somalia, Libyen und Westafrika, Afghanistan, Pakistan und Südostasien.

   Nach wie vor ist Barack Obamas Prinzip, mit den Scheichtümern (einschliesslich der Türkei) so wenig Umgang wie möglich zu pflegen, das einzig richtige. Warten wir ab, wer von den diversen Kalifen als Sieger hervorgeht, vielleicht Ali al-Khamenei im Iran. Das wäre dann vor allem ein Problem Israels.

Heinrich von Loesch

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