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Der Verlust des öffentlichen Raums

   Laura Weissmüller schrieb einen klugen Artikel (Feuilleton SZ, 24-3-16), in dem sie uns auffordert, den öffentlichen Raum zu verteidigen, den der Terrorismus bedroht:  die als selbstverständlich  empfundene Freiheit, unbedroht spazieren zu gehen, einen Bahnhof, ein Museum, ein Einkaufszentrum zu betreten ohne eine Schleuse zu passieren, neben der man sein Kleingeld, seinen Gürtel und seine Brille in ein Körbchen gelegt hat.

   Die Freiheit, den öffentlichen Raum zu nutzen, erscheint uns fundamental, selbstverständlich, und ist es doch nicht. Menschen, die ausserhalb Europas und einer Handvoll anderer Länder leben, wissen, dass der öffentliche Raum begrenzt und manchmal sogar inexistent ist.

   Ein Waldspaziergang? Wer in den USA versucht, Pilze zu sammeln, riskiert, beschossen zu werden. Man geht nicht in einen Wald ausserhalb der Naturschutzparks. Wer das tut, wird für einen potentiellen Tunichtgut gehalten.

   Europas allseits zugänglicher öffentlicher Raum ist vielleicht die grösste Attraktion dieses kleinen Erdteils. Schon in Amerika ist das anders. In Baltimore kann man nur im eleganten Zentrum des Inner Harbor unbesorgt flanieren; durch die armen Viertel fährt man mit blockierten Autotüren, und in manchen Gegenden empfiehlt es sich, nicht bei Rotlicht zu halten.

   Was die Frage des öffentlichen Raums angeht, ist es nützlich, sich die historische Entwicklung vor Augen zu halten. Es gab einmal eine Zeit, da war der grösste Teil der Welt relativ sicher. Reiseschriftsteller wie Patrick Leigh Fermor, Jan Morris, A.E.Johann und Jürgen Pechel waren Monate, manchmal Jahre in damals obskuren Gegenden unterwegs, ohne sich mehr Probleme als ein paar Krankheiten einzufangen.

   Der Autor selbst lebte Mitte der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in Kairo und vergnügte sich, abends in Hemdsärmeln mit dem Motorrad kreuz und quer durch die damals schon 5 Millionen zählende Nilmetropole zu fahren, durch arme Viertel mit Strassen-Suqs wie Imbaba: nie ist ihm etwas passiert. Jedermann war freundlich.

   Seit den fünfziger, sechziger Jahren ist der öffentliche Raum in den meisten Ländern immer unsicherer gewordem. Länder, die man einmal als sicher kannte, waren Jahrzehnte später riskant geworden. San Pedro Sula, die zweitgrösste Stadt von Honduras, ehedem ein verschlafenes Provinznest, ist heute die gefährlichste Stadt Lateinameikas mit einer Rekord-Mordrate. Egal, ob Kairo, Casablanca oder Nairobi – selbst im Zentrum bei den Hotels sollte man nach Sonnenuntergang auf Spaziergänge verzichten. Auch shopping ist ein Problem geworden. Sucht man in Guatemala City einen Supermarkt, so findet man ihn am ehesten in einer gated community, wo das gewöhnliche Volk keinen Zutritt hat.

   Das Ergebnis: es gibt immer weniger Länder, in die man als Tourist unbesorgt reisen kann. Überall wuchs die Kriminalität schneller als der Wohlstand, wurde der Europäer zu einem Geldbeutel mit Beinen reduziert, den man anbettelt, bestiehlt und im schlimmsten Fall verschleppt, erpresst und ermordet, so wie es kürzlich einem italienischen Studenten in Kairo geschah.

   Dieser weltweit gültigen Entwicklung hat nun der politische Islam eine hässliche Variante zugefügt: den Terrorismus. Damit katapultieren sich praktisch alle überwiegend muslimischen Länder aus der Liste der noch empfehlenswerten Reiseziele ausserhalb Europas heraus. Was bleibt ist ein Teil Asiens und, mit zunehmenden Einschränkungen, Lateinamerika.

   Und nun Europa. Buchungen nach Paris oder zu Ostern nach Rom sind erheblich zurückgegangen. Jeder Terroranschlag schrumpft, subjektiv empfunden, den öffentlichen Raum auf Monate, vielleicht Jahre hinaus. Mit der Zuwanderung aus armen Ländern steigt die Gefährdung, obwohl statistisch gesehen die Zuwanderer nicht krimineller sind als die einheimische Bevölkerung. Vieleicht ist ihre Kriminalität nur stärker auf den öffentlichen Raum gerichtet, Modell Köln.

Heinrich von Loesch

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