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Stolpern über einen Stolperstein

 

   Nach einem Besuch des Jüdischen Museums Berlin vor etlichen Jahren machte ich mich auf die Suche nach den Spuren meines Onkels Anton Mayer und entdeckte, dass er als "Halbjude" zwar verfolgt und ermordet wurde, aber in keinem Holocaust-Register erwähnt wird. Ich besuchte seinen letzten Wohnort Kleinmachnow vor den Toren Berlins und fragte im Rathaus nach dem alten Einwohnerregister. Man antwortete mir, man könne mir zu Anton Mayer nichts sagen, die Gemeinde habe kein altes Register mehr; ich solle es beim Land Brandenburg versuchen. Ich schrieb das Land an; man antwortete, man wisse nichts über Anton Mayer.

   Jahre später fand ich in www.berlinstreet.de/2033 einen Artikel " Das Schicksal der Berliner Juden während der Nazizeit" und schrieb dazu folgendes:

 

KOMMENTARE:

 

  1. Heinrich von Loesch am 6. Februar 2013 um 12:49 Uhr

    Mein Onkel muetterlicherseits Anton Mayer, Schriftsteller, zuletzt wohnhaft in Kleinmachnow, wurde nach Theresienstdt verschleppt und dort 1944 ermordet : »an Lungenentzuendung verstorben« laut Mitteilung des KZ an meine Tante Selma Mayer, geb. Fuerst.

    Anton Mayer, Roman- und Musikschriftsteller, war Freund und zeitweise Finanzier von Rudolf G. Binding. Aus einer Leipziger Bankiersfamilie stammend, war er kgl. Saechsischer Dragoneroffizier im I. Weltkrieg. Nach der Inflation verarmt, schrieb er gerne preussische Heldenbiografien. Als »Halbjude« hinterliess er keine Spuren in den offiziellen Dokumentationen des Holocaust. Kleinmachnow weiss nichts von ihm; auch das Land Brandenburg kennt ihn nicht. Traurig, dass ein so bedeutendes Mitglied des Berliner Kulturlebens spurlos verschwunden ist. Als sein Neffe scheint mir, dass ich der Letzte bin, der sich an ihn erninnert. 

   Um etwa die gleiche Zeit hatten jedoch ein paar junge Aktivisten in Kleinmachnow eine sehr lobenswerte Initiative "Stolpersteine" gestartet, deren Existenz ich erst kürzlich entdeckte.

Spuren der Nachbarn - Nachrichten Potsdam-Mittelmark

www.pnn.de/pm/643368/

Sechs neue Stolpersteine erinnern an Kleinmachnower Opfer des NS-Regimes

Kleinmachnow - Die kleinen Steine erinnern an deportierte und ermordete Juden, oder an solche, die trotz Verfolgung überlebten. Bei Arnim Friedenthal ist der Fall komplizierter: 1927 in Berlin geboren, lebte er mit seiner Mutter, einer Nicht-Jüdin, während der NS-Zeit im Elsternstieg 18 in Kleinmachnow. Immer wieder gab es Razzien der Gestapo in dem Haus, immer wieder wurde der Junge von Nachbarn gewarnt, konnte sich bei ihnen verstecken. Doch als die Jahre voller Angst für ihn vorüber waren, starb er 1946 mit nur 19 Jahren an einer schweren Krankheit.

Am gestrigen Donnerstag verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig für Friedenthal und fünf weitere Kleinmachnower Juden je einen Stolperstein. Mittlerweile gehören die kleinen Messingplättchen im Boden fest zum Kleinmachnower Ortsbild, ihre Zahl ist jetzt auf 21 angestiegen. „Anfangs hat es viel Überzeugungsarbeit gekostet, einige Hauseigentümer wollten zunächst keine Gedenksteine vor ihren Häusern haben“, erinnert sich Martin Bindemann, Diakon der evangelischen Jungen Gemeinde, der das Projekt in Kleinmachnow 2005 initiiert hat. Und auch heute noch missfallen die Gedenksteine offenbar einigen Kleinmachnowern: Im Vorfeld eines Rundgangs entlang der 16 bereits seit 2009 verlegten Steine am vergangenen Samstag war an einigen Stellen Laub und Dreck drübergekehrt worden – obwohl die Arbeitsgruppe sie zuvor extra poliert hatte. Vor anderthalb Jahren wurde sogar ein Stein gestohlen, er ist aber inzwischen ersetzt worden.

Um eben solchen antisemitischen Tendenzen etwas entgegenzusetzen, engagieren sich die beiden 18-jährigen Schülerinnen Astrid Husemann und Lisa Apelt in der lokalen Arbeitsgruppe Stolpersteine, die die Geschichte der deportierten und ermordeten Juden recherchiert. „Bei einer Reise nach Isräl wurde mir bewusst, wie präsent der Holocaust dort für die Menschen noch ist“, erklärt Astrid Husemann. Das habe sie nicht losgelassen, in der Arbeitsgruppe forschte sie zu den Lebensdaten von Samuel Stern. Er wohnte auf der Drift 11, von dort wurde er 1942 im Alter von 74 Jahren nach Theresienstadt deportiert und wenige Wochen später ermordet.

Viel mehr lässt sich über die Verfolgten oft nicht herausfinden, die Nazis hatten 1945 viele Akten vernichtet, die meisten Zeitzeugen, Nachbarn etwa, leben längst nicht mehr – oder zumindest nicht mehr in Kleinmachnow. Aber es gibt Ausnahmen wie etwa Andrea Blancke. Sie gab der Stolpersteingruppe vor vier Jahren den entscheidenden Hinweis zu Anton Mayer, der 1944 im Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg umkam. Weil sein Name häufig vorkommt, tappten Bindemann und seine Mitstreiter lange im Dunkeln. Dabei war der Kunsthistoriker Mayer Schriftsteller, einige Hinweise auf sein Leben finden sich in seinem Buch „Der Göttergleiche“. Doch Aufschluss gab erst die Freundschaft von Blanckes Mutter mit Mayers Frau Anselma Fürst. (gefettet von mir)....Ariane Lemme

 

  Meinen herzlichen Dank an die jungen Leute, die erreichten, was mir nicht gelungen war: Anton Mayers Spuren zu finden. Vielleicht findet sich ja einmal ein junger Wissenschafter, der sich des Werks Anton Mayers als eines bedeutenden Musikschriftstellers und Freundes von Rudolf G. Binding annimmt.  Hier der Begleittext zu dem Stolperstein in Kleinmachnow:

Dr. Anton Mayer wurde am 22.4.1879 in
Berlin geboren. Er wohnte freiwillig in Kleinmachnow in der Kurmärkischestraße 60 (heute: Rudolf-Breitscheid-Straße). Er war Schriftleiter einer Zeitung und Musikwissenschaftier und sehr bekannt unter seinem Synonym Johannes Reinwaldt. Seine Frau hieß Anselma Mayer (geborene Fürst).
Am 19.12.1944 starb er an einer Brustfellentzündung im Konzentrationslager Neuengamme. Seine Häftlingsnummer war 66654.

    Zu dem Kurz-Bio kann ich ergänzen:

   Es war Weihnachten 1944, als das Telegramm von dem KZ ankam. Tante Selma (Schwester meiner Mutter) war nach Antons Verhaftung bei uns auf Schloss Hagenberg in Oberösterreich zu Besuch. Zu dritt gingen wir zur Post um das Telegramm abzuholen -- Tante Selma, meine Mutter und ich. Als wir wieder im Freien waren, öffneten die Damen das Telegramm. Tante Selma weinte, meine Mutter sagte: "Die Schweine, sie haben ihn umgebracht!"  Dann weinten beide.

   Onkel Anton war nicht nach Kleinmachnow gezogen, weil es dort so schön war. Nachdem ihm die Reichsschrifttumskammer Schreibverbot erteilt hatte, hielt er sich nur mühsam über Wasser, notierte beispielsweise die Kochrezepte meiner Mutter um sie zu veröffentlichen. Er konnte sich Berlin nicht mehr leisten und zog nach Kleinmachnow, was keine gute Idee war, denn dort wurde er laut Tante Selma wegen "meckerns" denunziert.

   Ob er von Theresienstadt nach Neuengamme oder direkt dorthin kam, weiss ich nicht.  Die offizielle "Todesursache" sagt wenig aus:  in Neuengamme wurden schwache und kranke Häftlinge mit Benzinspritzen ermordet.

Heinrich von Loesch, Mai 2015

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