Rom, Bengalen

   Dai! Dai! Un euro solo!

    Ein Ruf in bengalischem Italienisch von einem der tausende fliegender Händler, die Roms wilde Märkte bevölkern. Überall sind sie, die zwar nicht grösste aber bei weitem sichtbarste ethnische Minderheit in der an Ausländern reichen Ewigen Stadt: die Bangladeshi. Sie verkaufen Zeitungen und Andenken, stehen an jeder Tankstelle um gegen ein kleines Trinkgeld den Treibstoff zu zapfen und die Scheibe zu waschen. Sie bedienen in Restaurants und Hotels, arbeiten auf dem Bau, waschen Autos, kochen, putzen...und...und...

    Die Römer sind faul, die Bangladeshi, “Bengalesi” genannt, sind fleissig. Eine Ehe im Himmel. Kein Wunder, dass Rom nach London die wohl grösste bengalische Kolonie in Europa aufweist. Tausende von ihnen leben in billigen Vororten: in Torpignattara – Banglatown genannt – in Tor Bella Monaca und in einem Abschnitt der Via Prenestina. Oft 15 von ihnen hausen in einer kleinen Wohnung, fast alle junge Männer, die vielköpfige Familien daheim ernähren müssen und dafür Fron, Ausbeutung und Erniedrigung klaglos ertragen.

    Während Europa auf die grosse Flüchtlingskrise fixiert ist, findet die Emigrationskrise Bangladeshs wenig Beachtung. Menschen sind das mit Abstand wichtigste Exportprodukt des südasiatischen Landes, dessen Massen jedes Jahr um 2 Millionen zunehmen. Allein 20 bis 40 Millionen von ihnen leben geschätzt in Indien. Weitere 3 bis 5 Millionen schuften in den Emiraten, den Monarchien am Persischen Golf und in Malaysia. Wie viele von ihnen leben in Rom?  Niemand weiss es, denn neben vielleicht 50.000 legal Eingereisten gibt es augenscheinlich noch viele Illegale.

   Im armen und übervölkerten Bangladesh geniesst Rom einen fabelhaften Ruf. Die laxe Kontrollpraxis der italienischen Polizei und Behörden, die periodischen Massnahmen zur Legalisierung Illegaler, seit Jahren existente illegale Helferdienste und ihre korrupten Amtskontakte – all das. kommt der bengalisch-indischen Mentalität der potentiellen Migranten entgegen, mutet sie vertraut an. Jetzt kommen nicht nur die üblichen armen Teufel aus Bangladesh, sondern auch Intellektuelle und Oberschicht nach Italien.

   Als Besucher Roms fragt man sich: wie kommt es, dass es ausgerechnet in Rom so viele Bangladeshi gibt – und warum gerade Bangladeshi, die bekanntlich keine Flüchtlinge, sondern Wirtschaftsmigranten sind? Nach Jahren der Ankunft zigtausender afrikanischer und arabischer Bootsflüchtlinge über Lampedusa und Sizilien ist die Stadt voll von Südasiaten. Wie ist das möglich? Wie sind sie gekommen – per Flugzeug oder per Boot?

   Ich interviewe zwei Polizisten an der Piazza Ippolito Nievo, mitten im Gewühl der schreienden Bangladeshi-Händler auf dem sonntäglichen Flohmarkt Porta Portese. Einer der Polizisten ist auf Betreuung von Einwanderern spezialisiert. Beide bemühen sich, Erklärungen zu geben, aber es gelingt ihnen nicht. Sie wissen auch nicht, woher die Massen der Bangladeshi kommen. Sie wissen nur, dass die Vorschriften so harmlos sind, dass es ihnen nicht gelingt, illegale Ausländer abzuschieben. Man vernimmt sie, man notiert ihre Personalien, man gibt ihnen das foglio di via, den schriftlichen Bescheid, der sie auffordert, Italien binnen drei Tagen zu verlassen. Sie verschwinden, reisen vielleicht sogar aus und kommen kurz darauf mit einem anderen Namen, anderen Papieren zurück. Ein Sisyphos-Job für die Polizei.

   Recherchen bringen ans Licht: das Problem beginnt in Bangladeshs Hauptstadt Dhaka. Genauer gesagt in einem Büro namens VFS Global, das für das italienische Konsulat Visa-Anträge entgegennimmt und sichtet, bevor es sie an das Konsulat weiterleitet. Rahman Shah, ein Italiener und Präsident der Associazione Coordinamento Italbangla e Sviluppo, einer Hilfsorganisation in Rom, behauptet, Antragsteller würden bei VFS Global “misshandelt und erpresst”, müssten lange warten, mitunter über ein Jahr, und zwischen 200 und 1000 Euro Schmiergeld zahlen, nur um einen Termin zu bekommen oder einen Antrag zu beschleunigen. Rahman Shah und sein Verein hätten sich mehrfach an die italienische Botschaft in Dhaka und an das Aussenministerium in Rom gewandt, doch nur geschlossene Türen gefunden. Sie hätten nun in Dhaka Strafanzeige erstattet.

   Wie berechtigt diese Vorwürfe sind, ist unklar. Doch klar ist, dass viele Bangladeshi die Hilfe fragwürdiger Helfer und Besorger in Anspruch nehmen, anstatt den direkten – und theoretisch auch billigeren – Amtsweg zu suchen.  Wie Terre des Hommes in einer englischsprachigen Broschüre “Information Booklet for Italy-bound Bangladeshi migrants“ darstellt, sollten sich potentielle Auswanderer nicht in Hände von Besorgern begeben, die versprechen, ihnen durch das “Labyrinth” der bangla-italo-Bürokratie zu helfen und die enorme Summen für falsche Papiere verlangen. Oft zahlen Reisekandidaten doppelt so viel wie notwendig, nur um ein Illegaler zu werden und daher erpressbar zu sein. Die meisten Reisewilligen haben keine Vorstellung von dem, was sie erwartet und erleben böse Überraschungen, sagt Terre des Hommes und drängt die Leute, lieber in der Heimat zu bleiben und mit dem Reisegeld ein Geschäft zu gründen.

   Ein weitgehend erfolgloser Appell, wie die grossen Zahlen der Bangladeshi nicht nur in Rom, sondern auch in Mailand, Vizenza und Mantua zeigen.

   Die Reise nach Italien gelingt auf verschiedenen Wegen. Die Bangladesh-Fluggesellschaft BIMAN fliegt für die Auswanderer wöchentlich einmal Dhaka-Rom. Viele Auswanderer starten aber nicht von Dhaka, sondern von Dubai, weil sie schon in den Emiraten arbeiten. Andere schlagen sich durch die Türkei nach Italien durch. Die ganz Armen kommen über das Mittelmeer, so wie Simon, der in einem Kahn von Libyen nach Lampedusa am Boden lag und dem das Gemisch von Treibstoff und Meerwasser die Rückenhaut weggeätzt hat.

   Kommen die Migranten endlich in Rom an, so wird das Leben erst recht schwierig und kostspielig. Auf sie wartet eine schwarze Liste von 100 "Besorgern", die sich um Anträge und Erlaubnisse für Einwanderer kümmern und sie dabei ausbeuten. Pro Monat vergibt die Stadt Rom rund zehntausend Aufenthaltserlaubnisse, um die angestanden und gekämpft wird. Hauptberufliche ausländische und italienische Berater und Anwälte sind erste Anlaufstelle für die Einwanderer, die sich aus Gewohnheit und Unkenntnis der Sprache nicht trauen, ihr Gesicht ohne ein Bündel Papiere in der Hand direkt im Amt zu zeigen. Lieber gehen die Bangladeshi zu einem Italien und seine Prozeduren bereits kennenden Landsmann, der wiederum die italienischen Mittelsmänner kennt. Das kostet – um bis zu 3000 Euro wird der Antragsteller von den Besorgern geschröpft, wie die Repubblica berichtete (16/05/16).

   Die Besorger gründen ihr Geschäft natürlich auf ihre “Beziehungen” in den Ämtern, die Langsames beschleunigen und Unmögliches möglich machen. Dabei helfen bewährte Konstrukte, vor allem gefälschte Arbeitsverträge, falsche Mietverträge. Sozialbeiträge, die angeblich gezahlt wurden, Wohnungen, die nicht existieren. Ein Mietvertrag kostet 800 Euro, ein Arbeitsvertrag 3000, seine Erneuerung 2000, wie die Repubblica erfahren hat. Was eine Familien-Nachholung kostet, wagt man garnicht zu bedenken. Bezeichnenderweise werden die Besorger von den Ausgebeuteten nie angezeigt; zu gross ist die Angst vor den möglichen Konsequenzen.

   So fügen sich die bengalischen Neurömer nach Kräften in die Wirtschaft ein, paradieren bei Sonnenschein vor den Touristen mit Selfie-Sticks, doch schiessen sie beim ersten Wassertropfen mit Händen voller Regenschirme aus dem Boden. Sie sind gut organisiert; sie haben ihre überall ihre Depots, wo die Schirme liegen, die Sticks, die Wasserflaschen, um Autoscheiben an den Kreuzungen zu waschen. Sie mieten gemeinsam dutzende bancarelle – fliegende Stände – vor Bahnstationen, Ämtern, Kaufhäusern, wo sie standardisierten Tand verkaufen. Der Vermieter der bancarelle-Lizenzen ist eine mächtige Römer Sippe, die trotz ihrer Anrüchigkeit im Stadtrat vertreten ist. Für sie sind die Bengalen eine gute Geldquelle, denn sie sind überwiegend ehrlich und machen keinen Ärger.

   Sie verfügen zwar nicht über viel Charme:  die meisten Bangladeshi sind eher ernst und sparsam. Sie sind fromm, aber ihr Islam neigt nicht zu Salafismus und Provokation. Eigentumsdelikte und Sexualkriminalität, für die andere Fremde berüchtigt sind, kommen bei ihnen selten vor. Sie wollen arbeiten und so viel wie möglich verdienen. Den Römern ist es recht.

Benedikt Brenner

 

Print Email