Das Vierte Reich

Ach Herr, gib uns das Fünfte Reich, das Vierte ist dem Dritten gleich!   (Volksmund, um 1947)

Gibt es wirklich das Quarto Reich der italienischen Links- und Rechtsintellektuellen?  Die Unterjochung der schwachen Südländer durch Deutschland mit Hilfe des Euro, wie genüsslich von der Daily Mail erkannt und von vielen nachgeplappert?

 

   Es gibt zahlreiche Argumente, weshalb weder Deutschland, noch der Euro an der Misere Italiens und Griechenlands schuld sind. Spanien und Portugal sind ja bekanntlich auf gutem Wege und brauchen keine Vierte-Reich-Legenden (mehr). Im Gegensatz zu Griechenland und Italien hat sich ihr Verhältnis zu Deutschland deutlich entspannt. Das ignorieren Italiens Links- und Rechtsausleger, die sich im nationalen Leid suhlen und fremde Sündenböcke züchten.

   Es nicht nötig, ins Detail zu gehen. Italien hat sich seinerzeit gewaltig angestrengt, um in den Euro zu kommen. Fakt ist auch, dass Italiens wirtschaftliche Stagnation schon lange vor dem Euro begann. Was also ist schief gelaufen und läuft täglich weiter schief?

   Wie in Hellas hat die Ankunft des Euro in Italien einen Konsumrausch ausgelöst. Erstmals konnten sich die Italiener als vollwertige Europäer fühlen. Sie mussten keine schwachbrüstigen Lire mehr umtauschen, wenn sie ins Ausland fuhren. Die Konsumgüter der Welt bemühten sich, ins Land zu kommen und wurden zum preiswerten Alltagsgut. Südafrikanischer Wein und schwedische Autos -- senza problemi. Ein ganzes Volk vollzog einen salto di classe, einen sozialen Aufstieg. Mit dem neuen Stolz stiegen die Ansprüche. Der Urlaub in Kenia, die Ferienwohnung am Meer oder in den Alpen, das Zweitauto für den Schultransport der Kinder und das shopping im französischen Supermarkt. Vielleicht sogar die illegale rumänische oder Filipino-Haushaltshilfe. Irgendwo musste gespart werden, um all das zu finanzieren, am besten durch Vermeidung von Steuern.

   Dem Konsumrausch im privaten Bereich entsprach sein Äquivalent im staatlichen Sektor. Der Euro brachte ja die niedrigen Zinsen des Welt-Geldmarkts nach Italien. Schulden machen wurde über Nacht billig. Die Hypothek für das Strandhäuschen, die Neuverschuldung des Staates, der Provinzen und Gemeinden, alles liess sich preiswert finanzieren. Also langte man fröhlich zu. Die Parteien verteilten grosszügig Wahlgeschenke. Die Renten- und Gesundheitssysteme wurden aufgebläht; die Defizite stiegen ins Unermessliche. Die Bürokratie florierte und festigte ihre Position als Zuchtmeister der Nation bei gleichzeitiger Selbstbeglückung und Schonung. Banken, Versicherungen, Berufskammern und Versorgungsbetriebe stärkten ihre Monopole und Oligopole. Öffentliche Transportmittel, Gas, Strom und Telefonie erklommen europäische Führungspositionen bei den Tarifen und in der Unzuverlässigkeit. Service: der Verbraucher verdiente einen Tritt, und wehe, wenn er sich auch noch beschwerte.

   Es waren, alles in allem, Italiens goldene Jahre. Die Gewerkschaften trumpften auf, die Löhne und Gehälter stiegen, die Produktivität schrumpfte, zumindest im Vergleich mit dem europäischen Ausland. Der Binnennarkt war ja konsumfreudig und tröstete über den Verlust internationaler Wettbewerbsfähigkeit hinweg. Dank der aufgeblähten Immobilienpreise rechneten sich die Italiener reich und wählten immer wieder den Magier des Kolosses mit den tönernen Füssen, Silvio Berlusconi. Bis zum Beinahe-Crash.

   Jahr um Jahr verging mit der wohlfeilen Tröstung, der nächste Aufschwung lauere schon um die Ecke. Doch statt aufwärts ging es immer nur weiter abwärts. Die drittgrösste Volkswirtschaft der EU, die zweitgrösste Industriemacht konnte, wollte nicht begreifen, dass sie das Maximum ihrer Leistungsfähigkeit überschritten hatte. Nach jeder Rezession war doch immer eine Erholung gekommen, warum diesmal nicht?

   Verzweifelt wurde nach einer Erklärung gesucht. Man fand sie, indem man die ökonomische Theorie auf den Kopf stellte. Das Gegenteil von dem, was man vorher zu wissen glaubte, wurde nun chic, zumindest an den linken und rechten Fransen der italienischen Politik. Wer zu viele Schulden gemacht hatte, sollte nicht sparen und tilgen, sondern noch mehr Schulden machen. Schuldig war nicht, wer über seine Verhältnisse gelebt hatte, sondern wer ihm die Mittel dazu gegeben hatte, die bösen Euros und die billigen deutschen Käse und Autos.

   Wieder einmal prophezeit jetzt ISTAT, das italienische Statistikamt, dass Anfang 2015 die Rezession enden wird. Es soll aufwärts gehen ohne ernsthafte Reformen, ohne den Gürtel wirklich enger zu schnallen, auf die gewohnte weiche italienische Art. Gerade haben die saldi begonnen, der grosse Schlussverkauf, und die Händler meinen, es laufe besser als erwartet (oder befürchtet). Na also.

   Wenn es auch diesmal nicht klappt, dann ist bestimmt wieder das Quarto Reich schuld. Das Italien nicht nur aussaugt und hörig halten will, sondern es dafür auch noch kritisiert.

Benedikt Brenner

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