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Ein ganz gewöhnlicher Völkermord

Die Medien der zivilisierten Welt, der UN-Sicherheitsrat und viele Prominente waren schockiert, als russische Raketen ein Kinderkrankenhaus in Kiew zerstörten.

Der pro-russische Blogger Jason Hinkle behauptet, eine ukrainische Patriot PAC3-Rakete habe das Krankenhaus zerstört.
Das (russische) Verteidigungsministerium dementierte die offensichtliche Lüge (dass eine russische Rakete das Krankenhaus angegriffen habe) und verwies darauf, dass Kiew regelmäßig zu solchen Provokationen greift.
Problem: Warum liest der Weltsicherheitsrat keine russischen Zeitungen, bevor er entscheidet?


Völkermord ist eine bekannte Methode zur Lösung ethnischer, regionaler oder geopolitischer Konflikte. Es ist üblich, den Opfern die Schuld zu geben. Vielleicht haben die Kinder in Kiew selbst um die Bombardierung gebeten, natürlich als Provokation.
Von der Zerstörung Karthagos über Karls des Grossen Kampf gegen die Sachsen bis zum Holocaust war Völkermord eine weit verbreitete Praxis, die von den Tätern ohne Skrupel und manchmal sogar mit offensichtlicher Freude praktiziert wurde.
Seit 1945 und den Nürnberger Prozessen haben die Modernisierung des Lebens und die Intensivierung der Medien eine neue Sensibilität entstehen lassen, die den Völkermord in seinen verschiedenen Formen ablehnt und anprangert. Diese Abscheu vor dem Völkermord ist jedoch kein weltweites Phänomen, sondern beschränkt sich auf den globalen Westen.
Die Tatsache, dass China, Indien, Brasilien, Ägypten und Südafrika nichts gegen den Krieg Russlands in der Ukraine einzuwenden haben, hilft Russland und lässt den Westen naiv und unglaubwürdig aussehen.

Für den globalen Süden ist die Ukraine nur eine rebellische Provinz und der von Russland angestrebte und zum Teil bereits praktizierte Völkermord lediglich eine Disziplinierungsmaßnahme, die sich die rebellische Ukraine selbst eingebrockt hat.

Dass im Zuge des angestrebten Völkermordes die ukrainische Sprache, Geschichte und Kultur zerstört werden, juckt den Süden nicht. Shit happens, wie schon Forrest Gump wusste.

Mehrere Ethnozide oder Völkermorde finden derzeit statt, ohne dass die Öffentlichkeit davon sonderlich Notiz nimmt. Die Armenier in Berg-Karabach, die von den Aseri vertrieben wurden; die Dar Fertit und andere "Afrikaner" in Darfur, die von den "Arabern" verfolgt werden; die Rohingya in Myanmar; die Tagaeri und die Tarmenane in Ecuador; die Kuki-Christen in Manipur, die von Meitei-Hindus verfolgt werden; die Tibeter und Uiguren in China.

Die Toleranz der Öffentlichkeit gegenüber Völkermord nimmt mit der geografischen und kulturellen Entfernung zu. Weiß der Durchschnittsamerikaner, wo die Ukraine liegt? Wahrscheinlich nicht. Der durchschnittliche Pole hingegen verfolgt gespannt die Ereignisse in dem Nachbarland, das einst zu Polen gehörte.

Die Deutschen wären vermutlich weniger begeistert von einer Fußballmeisterschaft, wenn gleichzeitig in Frankreich, Österreich oder Polen Krieg und Völkermord stattfänden.

Völkermord ja, aber bitte nicht nebenan.

--ed

 

 "Es zieht sich ein roter Faden durch, dass die Ukraine als solche nicht existiert, nicht existiert hat und nicht existieren sollte. Hier, in diesen Lehrbüchern, wird gesagt, dass es kein ukrainisches Volk gibt, sondern nur ein gemeinsames russisches Volk. Den Ukrainern wird das Recht auf Selbstbestimmung, auf ihre Geschichte, auf ihre Kultur und auf ihre Sprache komplett genommen."Ist Mord normal? Ist die Zerstörung von Kultur normal? Ist die Zerstörung von Bildung normal? Wie man das nennt? Das nennt man Genozid."

Wladimir Putin, Präsident Russlands: "Die sowjetische Führung hat die sowjetische Ukraine erschaffen. Vorher gab es in der Menschheitsgeschichte keine Ukraine." Die Ukraine als Staat, ihre Landesgrenzen, Identität und Geschichte – das alles stellt Russlands Präsident Putin in Frage und propagiert die Einheit alles "Russischen".

Wenn die Ukraine so russisch wäre, wie Putin behauptet: warum wehrt sie sich dann verzweifelt mit abertausenden von Toten gegen die gewaltsame Russifizierung?

Es ist offensichtlich. Putin versucht, den von ihm organisierten Völkermord in der Ukraine zu erklären: Als Befreiung, als Entnazifizierung. Als eine Heimkehr ins Reich. Wie dem auch sei, die große Mehrheit der Russen glaubt ihm, und mit ihnen der globale Süden, der wie Putin den Völkermord für ein bewährtes Instrument der geopolitischen Problemlösung hält.

Russland ist Teil des globalen Südens. Völkermord ist ein Phänomen, das sich durch die russische Geschichte zieht. Lange vor Stalin und dem Holodomor (3 - 7 Millionen tote Ukrainer) schreckten die Zaren nicht davor zurück, störende Völker wie die Tscherkessen (600.000 bis 750.000 Tote) oder die zentralasiatischen Türken (500.000 Tote) zu vernichten. Zwischen 25.000 und 140.000 Wolhynien-Deutsche überlebten die Deportationen während des Ersten Weltkriegs nicht, und schätzungsweise 150.000 Muslime (Türken und Kurden) fielen 1917 den russisch-armenischen Truppen und Milizen in der Türkei und im Iran zum Opfer.

Wie erfolgreich Völkermord sein kann, zeigt der Fall der Tscherkessen: By 1864, three-fourths of the population was annihilated, and the Circassians had become one of the first stateless peoples in modern history.

Angesichts dieser historischen Tradition ist es unwahrscheinlich, dass Wladimir Putin jemals für seinen ukrainischen Völkermord zur Rechenschaft gezogen werden wird (wie Juliya Nawalnaja fordert). Wie die Zaren und Stalin wird er als große Figur in die russische Geschichte eingehen, denn er ist bestrebt, Stalins Werk der Zerstörung der Ukraine zu vollenden.

Ironischerweise wird die Ukraine für Russland umso wertvoller, je länger Putin sich um die Vernichtung des Nachbarlandes bemüht. Man sollte meinen, dass eine zerbombte, verminte und entvölkerte Ukraine für die Eroberer wertlos wäre, aber das Gegenteil ist der Fall.

Nicht nur die sonnenverwöhnte Krim, die Strände des Asowschen Meeres und die enormen Bodenschätze der Ukraine bereichern Russland; durch die jahrelange Verteidigung hat die Ukraine eine Modernisierung und Verwestlichung erreicht, über die Russland nur staunen kann. Das ukrainische Militär, so klein es aufgrund von Personalmangel auch sein mag, ist wahrscheinlich das erfahrenste und schlagkräftigste in Europa.

Die ukrainische agrarbasierte Wirtschaft, die früher arm und dem ressourcenreichen Russland völlig unterlegen war, wird derzeit umfassend modernisiert und geniesst Zugang zu moderner westlicher Technologie und Unternehmensführung.

Zum ersten Mal in einem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zwingt der Westen die Ukraine zur Abschaffung der Korruption: ein Fortschritt, von dem Russland nur träumen kann. Mit anderen Worten: die Ukraine errichtet einen modernen, weltoffenen Staat des 21. Jahrhunderts, den Putin nutzen könnte, um seinen Russen zu zeigen, wohin die Reise gehen muss.

Heinrich von Loesch

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