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Libyen: kein osmanischer Traum

 

   Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gilt vielen Beobachtern als neuer “Sultan” und wird in den Medien verdächtigt, osmanischen Träumereien anzuhängen.

   Das ist simpel: praktisch alle Länder in der Umgebung der Türkei waren einmal Bestandteil des osmanischen Reichs. Daher wird jede regionalpolitische Geste Ankaras gerne als “osmanisch” missverstanden. Ein Rauchvorhang, der Ankara nur angenehm sein kann, und den Erdogan im Falle Libyens noch verstärkte, indem er vom libyschen “Brudervolk” sprach. Das ist in etwa so logisch, als wenn die Deutschen von den Portugiesen als Brudervolk sprechen würden.

   Auch für die Süddeutsche Zeitung ist Erdogans Libyen-Abenteuer ein “Osmanischer Traum” (3-01-20). In Wirklichkeit handelt es sich um eine seit Jahren zäh verfolgte Politik der Unterstützung der islamistischen Milizen in Tripolitanien. 

   Gegen das UN-Verbot von Waffenlieferungen nach Libyen verstossend, liefert die Türkei seit Jahren per Schiff mehr oder weniger heimlich Waffen und Material nach Tripolis. Dass Erdogan jetzt Truppen und Ausbilder schickt, ist nur ein weiterer Schritt in dieser Richtung. Dennoch sind die Bedingungen jetzt anders, als sie es ursprünglich waren.

   Der wesentliche Unterschied liegt in der Rolle des sogenannten libyschen Präsidenten Fayez as-Sarraj, der – ein Mitglied der reichen Bourgeoisie von Tripolis – ursprünglich von den Vereinten Nationen eingesetzt war, um eine Regierung der nationalen Versöhnung zu bilden und die lokalen Ableger des Islamischen Staats und der al-Qaeda zu bekämpfen,

   Weitgehend hilflos harrte as-Sarraj monatelang in einem Teil von Tripolis aus, ignoriert und angefeindet von den herrschenden Milizen. Nur die Italiener kamen ihm zuhilfe (weil sie dringend einen libyschen Partner im Kampf gegen die Schleuser brauchten), während die Franzosen mit seinem Gegner, General al-Haftar in der Cyrenaika -- dem Herrscher des Erdöls -- paktierten.

   Um sich aus seiner aussichtslosen Lage als zwar machtloser, aber international anerkannter Regierungschef zu befreien, schloss sich as-Sarraj schrittweise den Islamisten an und wurde dadurch zu einem Alliierten der Türken.

   Damit ist das ursprüngliche Mandat as-Sarrajs zwar in sein Gegenteil verkehrt worden, doch die internationale Gemeinschaft störte sich nicht daran, so lange ein Schein von Legitimität erhalten blieb.  

   Dass as-Sarrajs Familie türkischer Herkunft ist, hat der neuen Freundschaft mit Erdogan wohl nicht geschadet. Sollte es den Islamisten mit Erdogans Hilfe  gelingen, die Gegenregierung in Tobruk militärisch niederzuringen (was unwahrscheinlich ist), so wären as-Sarrajs Tage gezählt: mit Sicherheit würden ihn die Milizen und Erdogan ausbooten, sobald sie den Schein internationaler Anerkennung nicht mehr brauchen.

   Nach den Debakeln der befreundeten Islamisten-Regierungen in Ägypten und im Sudan ist ein von der Moslem-Bruderschaft regiertes Libyen Erdogans Ziel, und war es von Anfang an. Dass man von dort Erdöl und Gas beziehen könnte: ein nützliches Nebenprodukt.

Ihsan al-Tawil

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