Hellas: das Jahrhundertwerk
Am schlimmen Ende der Ära Berlusconi in Italien zeichnete der Karikaturist Bucchi einen nachdenklichen Mann, der sagt: "Ci vuole un secolo di occupazione straniera" -- "Wir brauchen ein Jahrhundert fremde Besatzung."
An diesem Punkt ist Griechenland angelangt. Die fremde Besatzung ist angekündigt, für fünf Jahre. Griechenland muss sie noch akzeptieren. Nach jahrelangem Hickhack ist die Wahrheit endlich auf dem Tisch: da Hellas sich nicht selbst reformieren kann und will, muss die Reformarbeit von den Gläubigern erzwungen und kontrolliert werden.
Peinlich für eine souveräne Nation, aber unumgänglich, so man nicht den Absturz in das schon fast vergessene Armutsniveau der 1970er Jahre vermeiden will.
Alles Jammern und Schimpfen ist sinnlos. Griechenland kann von Glück reden, dass seine Gläubiger ihm prinzipiell wohlgesonnen sind, eine Eselsgeduld mit unfähigen und unwilligen Regierungen gezeigt haben, zu erheblichen finanziellen Opfern bereit sind und sich wie ein Schneekönig freuen würden, falls es ihnen gelänge, mit Hilfe der Troika Hellas in ein paar Jahren leidlich auf die Beine zu stellen.
Die Fachleute, die nun Griechenland bei seiner Modernisierung steuern sollen, stehen auf den Gehaltslisten der Gläubiger. Das ist ein nicht zu unterschätzendes Geschenk, das die Hellenen honorieren sollten, anstatt über Fremdbestimmung zu klagen. Nichts anderes als ein Jahrhundertwerk steht an: eine Chance für Griechenland, im Schnellverfahren aus dem 19. ins 21. Jahrhundert katapultiert zu werden.
Natürlich wird es schmerzlich sein, die alte orientalische Schlamperei und Gemütlichkeit zu verlieren. Ein Weltbild, ein Lebenszuschnitt müssen sich ändern. Was die Eltern den Kindern mitteilen und tradieren können, wird wertlos; alte Autoritäten zerbrechen, neue fordern Respekt.
Besonders hart ist der Abstieg für eine Generation, die in Wohlstand aufgewachsen ist, für die reichliche Renten (auch für unverheiratete Töchter), mit frühem Verrentungsalter und 14 Monaten pro Jahr ebenso selbstverständlich waren wie Schulbusse, billige Hypotheken und Autokauf auf Raten. Vergessen die Zeit, in der Griechen nach Deutschland gingen, eine deutsche Frau heirateten um Wohnrecht zu bekommen und mit einem Auto samt deutschen Nummernschild wieder nach Griechenland zurückzukehren.
Fraglos kommen harte Jahre auf Griechenland zu, aber auch interessante und chancenreiche. In seiner Misere sollte Hellas dankbar sein, dass Europa ihm die Hand hält und es auf dem Weg in die Moderne unterstützt. Dabei sollte Europa freilich bescheiden bleiben, denn an der Katastrophe Griechenlands ist es nicht ganz unschuldig.
Ihsan al-Tawil
Update
Griechenlands erneute Rettung beeindruckt Deutsche offenbar wenig. Auf Focus online forderten 9 von je 10 Lesern bei einer Umfrage, Deutschland solle Griechenland kein weiteres Geld geben.