Brief aus Rom

   Letzte Maitage in Rom. Es ist kühl und feucht in der ewigen Stadt, die Heizung läuft. Wo bleibt der Sommer, fragen die Römer, die ohnehin schon genervt sind von einer chaotischen Regierung und einer unfähigen Stadtverwaltung, deren Symbol, das Unkraut, überall spriesst und die Gehwege zuwächst. Die chinesische Kassiererin meiner mittlerweile chinesisch gewordenen Lieblings-Espressobar seufzt: “Immer Regen in Rom. Seit dem 22. Dezember regnet es ununterbrochen…”

   Die Bar ist ein Mikrokosmos von Rom und deutet zugleich an, wie Europas Zukunft aussehen dürfte. Vom alten Personal ist nur der Chef-Barista geblieben: ein Römer, der durch seine Vertrauen einflössende Person den Kunden die Tradition garantiert und nebenher die jungen Chinesen anlernt, die sich bemühen, gleichzeitig italienisch und den Job des Barista zu erlernen. Der Putzmann, der die Tische abräumt ist ein Bangladeschi oder Pakistani, die Küchenhilfe ist Rumänin. Den Chinesen gelang es zwar, die Araber und die Bulgaren von den Tischen im Freien zu vertreiben, die dort Tag für Tag ihre Geschäfte abwickelten: an ihrer Stelle machen sich nun die alten Frauen des Quartiers breit, die ihre Schwätzchen abhalten ohne viel zu konsumieren.

   Immer mehr Bars werden von Chinesen übernommen. Dabei wird man zwar nicht reich, aber das Geschäft ist sicher und krisenfest. “Wenn man die Steuererklärungen der meisten römischen Barbesitzer ansieht, denkt man dass sie unter den Tiberbrücken schlafen, so arm sind sie”, spotten Kenner. Apropos Wirtschaft: von Krise ist in Italien derzeit wenig zu spüren. Der Konsum läuft wie gewohnt; Baustellen sind zahlreicher und hinderlicher denn je, Luxus ist gefragt und wird sichtbar demonstriert. Eine aus den spanischen Vierteln in Neapel stammende Räuberbande hat sich auf Rolex-Uhren spezialisiert und schlug kürzlich vor meinen Augen in einer Gasse des Testaccio-Viertels zu. Der Raub hinterliess eine schreiende, aber sonst heile Dame: in anderen Fällen soll der Arm gelitten haben. Im Gegensatz zur vital anmutenden Privatwirtschaft tritt der Staat auf sie Bremse. Wichtige Strassenbau-Projekte mussten auf Eis gelegt werden, weil die Regierung 1,8 Milliarden vom Strassenbau abgezweigt hat, um ihre fragwürdige Grundeinkommens-Politik vor allem in Süditalien zu finanzieren. Aus Neapel allein kam knapp die Hälfte aller Bewerber. In einigen Provinzen Norditaliens gab es fast keine Interessenten.

   Die Europa-Wahl und die gleichzeitigen Kommunalwahlen haben nun Italien zum dritten Mal binnen weniger Jahre total umgekrempelt. Erst war es der lautstarke Florentiner Matteo Renzi, der versprach, Italiens Politik tiefgreifend zu reinigen und das alte System abzuwracken. Die Italiener jubelten und wählten ihn. Doch nach kurzer Zeit begannen immer mehr Leute – vor allem aus seiner eigenen Partei – an seinem Stuhl zu sägen. Als dann auch noch sein eigener Vater in unsaubere Geschichten verstrickt war, war Renzi am Ende und seine demokratische Partei zerfiel.. Die Italiener suchten also nach einem anderen Abwracker und fanden ihn in Luigi di Maio, der die Fundamental=Opposition der Fünf Sterne des ex-Komikers Beppe Grillo zu einem triumphalen Sieg über die alten Parteien führte. Doch das Glück weilte nur ein Jahr: das italienische Leiden ergriff schnell auch die Grillini: Inkompetenz, Prinzipienreiterei, Klüngelei und Schlamperei desillusionierten die Wählerschaft so rasend schnell, dass bei den jüngsten Wahlen den Fünf Sternen die Hälfte ihrer Wähler abhanden kam.

   Stattdessen stürmte der dritte Abwracker in Folge an die Macht: Matteo Salvini von der krypto-faschistischen Lega verdoppelte binnen eines Jahres seine Wählerzahl. Man mag die Verzweiflung der Italiener ermessen, die sie bewogen hat, die Macht nun in die Hände einer Clique zu legen, die kein Problem mit der Erinnerung an das Italien vor 1945 hat.

   Nun hat Salvini grosse Pläne: er will nicht nur Italien umkrempeln, sondern auch die EU. Man darf warten, wie lange es dauern wird, bis die Italiener auch der Lega und Salvinis überdrüssig werden. Noch glaubt man ihm, dass er das Flüchtlingsproblem mit Hau-Ruck-Methoden gelöst hat. Noch haben seine Wähler nicht verstanden, dass er zwar die Rettungsschiffe verbannt hat, nicht aber die Schnellboote, die über Nacht von Tunesien und Algerien kommend in Marsala, Mazara del Vallo und Marettimo einlaufen und ihre gut zahlenden Passagiere ausladen. Auch Holzbooten und gelegentlich sogar Schlauchbooten gelingt es, italienische Häfen anzulaufen. Doch das eigentliche Problem Salvinis ist der totale Misserfolg, was sein Versprechen anlangt, alle illegalen Einwanderer zurück in ihre Heimatländer zu spedieren. In dem Jahr Salvinis als Innenminister wurden noch weniger Illegale repatriiert als in den Jahren zuvor.

   Wird die Fremdenfeindlichkeit der Italiener eine dauerhafte Basis für Salvini bleiben? Analysen der Ergebnisse der Europawahl und die Kommunalwahlen haben ergeben, dass Italien zweigeteilt ist. Die Grosstädte wie Mailand, Rom, Florenz und Bari haben sozialdemokratisch gewählt; die Kleinstädte und das flache Land wählten überwiegend Salvini und die Lega. Mit anderen Worten: die Grosstädte, in denen die Ausländer-Dichte hoch ist, lehnten Salvinis Rabaukenpolitik ab. In den kleineren Orten und auf dem Land gibt zwar relativ wenige Ausländer, aber eine ausgeprägte Fremdenfeindlichkeit. Sie nährt sich von Meldungen wie dieser: Eine Gruppe von vier jungen Nordafrikanern machte in Ostia bei Rom ein 15-jähriges Mädchen an. Ihr Vater, ein Mitglied des Sinti-Clans Spada, der Ostia tyrannisiert, schritt ein. Ergebnis: drei Jünglinge liegen mit Stichwunden im Krankenhaus, der Vierte ist im Krankenhaus verblutet.

   Sollte der Xenophobie-Glanz, den Salvini jetzt geniesst, eines Tages verblassen, wen werden die Italiener dann wählen? Dann bleiben nur noch die echten Faschisten von Gruppen wie Casapound übrig. Oder würden die Italiener dann wieder zurück zu einer erstarkten Mitte finden, die mit Brüssel und den Finanzmärkten in Frieden leben kann? Im Augenblick scheint Italien jedenfalls Griechenland nachzueifern auf dem Pfad zu Schuldenschnitt und Zwangsverwaltung. Man könnte sich auch trösten, dass Salvinis Allmachtsfantasien nur beschleunigen werden, was ohnehin unvermeidlich ist.

Benedikt Brenner

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