Militärdiktatur, Klerikaldiktatur, Feudaldiktatur?
Unter siebzehn arabischen Ländern gibt es nur zwei, die sich derzeit als Demokratien bezeichnen können: Libanon und Tunesien. Nur die Angst vor einem erneuten Bürgerkrieg hält Christen, Sunniten und Schiiten im Libanon in einem prekären Gleichgewicht, das sich Demokratie nennt. In Tunesien erlaubte die Abreise von tausenden Dshihadisten nach Syrien eine Entspannung zwischen Säkularen und Islamisten, die zu einer Koalitionsregierung führte und als Beginn einer Demokratie gelten kann.
Alle anderen arabischen Staaten, plus der Türkei und Iran, fallen in eine der drei Kategorien: Militärdiktatur, Klerikaldiktatur, Feudaldiktatur. Der Islamische Staat vereinigt sogar zwei Kategorien, die einer Klerikal- und Militärdiktatur. Ägypten hat das Hemd doppelt gewechselt: von einer Militär- zu einer Klerikaldiktatur und zurück. Die Türkei ist, wie Nobelpreisträger Orhan Pamuk sagte, auf dem Wege von einer Militär- zu einer Klerikaldiktatur: "Die autoritären Soldaten wurden hinaus gedrängt; eine autoritäre und islamistische Regierung nahm ihren Platz ein." (14/02/15)
Das Beispiel der Türkei. wo es den Islamisten unter Erdoǧan gelang, das Militär zu entmachten, inspirierte die Moslembrüder Ägyptens unter Morsi, ähnliches zu versuchen. Doch das Volk hatte nach einem Jahr klerikaler Misswirtschaft genug von den Islamisten und rief das Militär zu Hilfe. Das liess sich zwar zweimal bitten, schlug dann aber massiv zu.
Sieben arabische Monarchien sind immer noch ein mächtiger Block im Nahen Osten. Ihre Ursprünge waren durchaus legitim: als sie entstanden, war die Monarchie die einzige in diesem Weltteil bekannte Regierungsform, also alternativlos. Später wurden die Monarchien in Frage gestellt durch die Modernisierung des Miltärs, die Ausbildung führender Offiziere in Sandhurst und West Point und die Darbietung westlicher Lebensformen durch das Fernsehen für die analphabetischen Massen. Die Monarchien mussten sich in moderne Feudaldiktaturen verwandeln, um die Macht zu behalten.
Der Tourismusminister einer grossen arabischen Monarchie sagte vor einiger Zeit zu einer Freundin aus alten Tagen: "Ich verdiene gut, aber ich brauche mehr Geld als Du denkst. Mein Leben ist teuer. Ich muss ein Flugzeug stets startbereit auf dem Flugplatz stehen haben, mitsamt dem Piloten, denn wenn es hier kracht, dann muss ich mit Familie binnen ein, zwei Stunden aus dem Lande sein".
Erstaunlich viele Potentaten schafften es trotzdem nicht, rechtzeitig zu fliehen. Mubarak, Ghaddafi, Saddam Hussein hatten Pech. Nur Ben Ali von Tunesien emtkam dem Volkszorn. König Abdullah II. von Jordanien ist übrigens selbst Pilot.
Im westlichen Ausland echauffiert man sich über den neuen ägyptischen Präsidenten al.Sisi, weil der wesentliche Bürgerrechte missachtet, Moslembrüder und junge Demokraten mit gleicher Härte verfolgt. Sisi ist natürlich kein uneigennütziger Retter Ägyptens vor der Misswirtschaft seines Amtsvorgängers Morsi. Von den Geldern, mit denen die Golfmonarchien das neue Ägypten zu stabilisieren versuchen, hat er schon mal zehn Milliarden Dollar abgezweigt, um für sein Militär U-Boote und sündteure französische Rafale-Kampfflugzeuge zu kaufen. Unter ihm geht das Militär, das jetzt schon ein rundes Drittel der Wirtschaft Ägyptens kontrolliert, goldenen Zeiten entgegen.
Weil sich am Vorrang des Militärs nichts ändern darf, ist für Sisi jede abweichende Meinung, jede Kritik eine Gefahr. Wahrscheinlich teilt er die Meinung etlicher Beobachter, dass man dem politischen Islam, dem Islamismus, nur mit Geduld begegnen kann. Nach weiteren zwanzig, dreissig Jahren wird sich der Islamismus totgelaufen haben, so die Theorie. Mehr Bildung, mehr Wohlstand, neue Ideen werden die Aggressivität der Frommen abschleifen, so glaubt man. Also muss man zwei, drei weitere Jahrzehnte lang dafür sorgen, dass die Islamisten nicht an die Macht kommen. Nur das Militär -- die Schule der Nation für Sisi, in der alle Religionen und sozialen Schichten vertreten und dem gemeinsamen Patriotismus untergeordnet sind -- kann dafür sorgen, dass das Gespenst des Islamismus auf Jahrzehnte hinaus gebannt bleibt.
Das genaue Gegenteil der Philosophie Sisis vertritt in der Türkei Präsident Erdoǧan, dem kürzlich ein türkischer Psychiater, Dr. Ahmet Koyuncu, eine "durchschnittliche anatolische Religiosität" bescheinigte -- was ihm prompt eine Anklage wegen Majestätsbeleidigung eintrug. Man kann angesichts der herrschenden Animosität zwischen den beiden Präsidenten nur glücklich sein, dass die Türkei und Ägypten nicht aneinander grenzen.
Das drakonische Regime Sisis ist nicht schön, aber er fordert mit Recht, die ausländischen Kritiker sollten sich doch bitte in die Rolle der Ägypter versetzen und aus deren Perspektive urteilen. Tatsache ist, dass offenbar nicht nur die Mehrheit der Ägypter Sisis Politik unterstützt, sondern dass auch viele Intellektuelle seinen politischen Ansatz als den derzeit einzig sinnvollen erachten.
Erhellend ist es, sich auszumalen, wie der Nahe Osten wohl aussehen würde, falls in Ägypten statt des Militärs weiterhin die Moslembrüder an der Macht wären. Dann gäbe es eine eindrucksvolle Front von sunnitisch-islamistischen Regimes beginnend im Osten mit der Türkei, sich fortsetzend mit dem Kalifat in Syrien und dem Irak, weiter geführt in Gaza von der durch Ägypten unterstützten Hamas und den IS-Ablegern im Sinai. Mit den Moslembrüdern an der Macht in Kairo wäre die international anerkannte libysche Regierung in Tobruk nicht zu halten; die islamistische Gegenregierung in Tripolis würde mit Hilfe Ägyptens und der lokalen Milizen schnell das ganze Land übernehmen.
Ägypten würde auch dafür sorgen, dass das prekäre Gleichgewicht zwischen den säkularen Kräften und der islamistischen Ennahda-Partei in Tunesien nicht von den Gewerkschaften in Richtung eines demokratischen Kompromisses, sondern von den Frommen auf der Strasse zugunsten Ennahda entschieden worden wäre.
Ägypten ist der Elefant unter den arabischen Staaten. Deswegen, und nicht aus Liebe zu Sisi, pumpen die Golfmonarchien Milliarden in die marode Wirtschaft des Nillandes, dessen nunmehr fast neunzig Millionen Menschen mit einem Brutto-Inlandsprodukt pro Kopf von rund 1566 Dollar (2014) im Jahr vegetieren (immerhin über dem Niveau von Indien mit 1165 Dollar).
Im Nahen Osten unserer Tage ist die Alternative zu dem Dreigespann Militärdiktatur, Klerikaldiktatur, Feudaldiktatur nicht Demokratie sondern Chaos, Modell Libyen und Jemen. Wäre der Islamische Staat nicht so grauenhaft, wahnhaft und aggressiv, könnte man ihn als willkommene Alternative zu Chaos in Syrien und Nordirak betrachten. So aber steuert er unbeirrt auf seine Fernziele zu, die Eroberung der heiligen Stätten Mekka und Medina und danach die Eroberung der Welt. Nur dauerhafte Schwächung durch die amerikanisch geführte Allianz kann ihn an der Verfolgung seiner Ziele hindern.
Während die Allianz mässig, aber regelmässig bombt, belauern sich die religiösen Zwillinge IS und Saudi Arabien gegenseitig. Wer wird den ersten Schlag wagen? Selbst wenn es dem IS gelänge, die kampfungewohnten saudischen Streitkräfte auszuschalten, ist sein Zugang zu den Ölquellen unwahrscheinlich. Bevor die saudische Monarchie zerfällt, würde der Iran seine schiitischen Glaubensbrüder in Bahrein und Ostarabien "befreien" und dadurch die saudischen Ölquellen sichern, durchaus im Sinne Amerikas. Kein Wunder, dass die Prinzen in Er-Riad das US-iranische rapprochement nervös beobachten.
Während sich die Lage im Nahen Osten laufend verschlechtert und die Flüchtlingsströme in alle Richtungen anschwellen, ist doch der Fortschritt in Wissenschaft und Forschung nicht aufzuhalten.
Just an Galileo Galilei's Geburtstag vor 451 Jahren, dem 15 Februar dieses Jahres, verkündete laut Al-Arabiya ein saudischer Religionsgelehrter, Sheikh Bandar al-Khaibari in einem Video, dass die Sonne um die Erde kreise, nicht umgekehrt, und dass die Erde fest ruhe. Die Erde rotiere nicht, denn "sonst würde ein Flugzeug, das von Sharjah (UAE) Richtung China startet, dieses nie erreichen, da sich China wegdreht." Deswegen war auch nie ein Mensch auf dem Mond, sagte Sheikh Bandar, denn das NASA Video sei "ein Hollywood-Produkt gewesen".
Ihsan al-Tawil