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Europa braucht die Desinisierung

   Desinisierung ist ein Begriff aus Taiwan. Sinisierung, Desinisierung und Resinisierung sind Narrative der Auseinandersetzung der Taiwanesen mit ihrer chinesischen Vergangenheit, ihrer nach Autonomie strebenden Gegenwart, und der ihnen von China zugedachten Zukunft.

   Europa? Die geografische Lage “am anderen Ende der Welt” bewahrt Europa nicht davor, sich mit Chinas Hegemoniestreben befassen zu müssen. Gegenwärtig befindet sich Europa in der Phase der Sinisierung: sanfter zwar und gradueller als es die Abläufe in Hongkong und Taiwan sind, doch ebenso zielgerichtet und nachdrücklich 1).

   Sinisierung: ein grosses Wort für die chinesischen Investitionen in die Infrastruktur armer europäischer Länder wie Griechenland und Montenegro, in die Industrien und die Wirtschaft reicher Länder wie Deutschland, Frankreich und Italien. Sinisierung bedeuten aber auch die Versuche Chinas, massiv Einfluss zu nehmen in die Gestaltung von Politik und öffentlicher Meinung; beispielsweise Pekings Kampagne, die Herkunft des SARS Cov 2 Virus aus Wuhan zu leugnen.

   Ganz fraglos sieht sich China als der neue Hegemon, dem man zu Diensten sein soll. Je stärker die Selbstlähmung der USA in den Trump-Wirren fortschreitet, je länger die Covid-Epidemie die noch weltgrösste Wirtschaft lähmt, desto deutlicher fällt China die Hegemonie in den Schoss. China will Trumps Wiederwahl verhindern, behauptet der Amtsinhaber. Lächerlich: China könnte sich keinen besseren Verbündeten als Trump wünschen, falls er weitere vier Jahre Zeit hätte, die Welt China zu Füssen zu legen.

   Diese Möglichkeit sollte Europa klar machen, dass spätestens nach einer weiteren Amtszeit Trumps China der grosse Zampano sein wird. Viele Amerikaner lehnen traditionell internationale Institutionen wie die Vereinten Nationen ab, denn es gibt ja eine höchste Instanz auf Erden, nämlich den Präsidenten der USA. Es reicht, ihn zu fragen, wenn man wissen will, was richtig und was falsch ist. Nicht anders China: während der Unruhen in Hongkong unterstützten die allermeisten Festlandschinesen den harten Kurs der Regierung gegen die Vettern in Hongkong.

   Warum sollte Europa eine Kehrtwende von der Sinisierung zur Desinisierung vollziehen? Ganz einfach, weil der ehedem gutwillige Hegemon USA, der Europa schützte und förderte, zusehends durch einen strengen und selbstsüchtigen Hegemon China abgelöst wird. Diese neue Vormacht hat keine emotionalen und verwandschaftlichen Bindungen an Europa: keine gemeinsamen Familiengeschichten, wenig Freundschaften. Sie träumt sich nicht nach Versailles, nach Heidelberg oder in die Highlands. Für Peking ist Europa ein Markt, ein potentieller Vasall, allenfalls ein Konkurrent. So unverfroren wie Ankaras Erdogan, gestützt auf Millionen Diaspora-Türken, in Deutschland auftritt, so tritt China hier auf, gestützt auf die enge wirtschaftliche Verflechtung.

   Wenn Europa vermeiden will, von Peking gesagt zu bekommen, was richtig und was falsch ist, muss es den Weg der Desinisierung gehen. Das heisst in erster Linie: wirtschaftliche Entflechtung. Es reicht nicht, wie Anders Fogh Rasmussen*  fordert, chinesische Beteiligungen an strategisch wichtigen europäischen Unternehmen einem Kontroll- und Bewilligungsverfahren nach spanischem Vorbild zu unterziehen.

   Es reicht nicht, mit Luchsaugen zu überwachen, welche infrastrukturellen Vorhaben China in Virus-geschwächten Ländern wie Italien im Rahmen der Neuen Seidenstrasse zu finanzieren bereit ist. Es ist neben diesen defensive Massnahmen auch eine aktive Strategie erforderlich, nämlich das Streben nach graduellem Abbau der wirtschaftlichen Verflechtungen Europas mit China. Graduell, behutsam, aber nachdrücklich. China als “verlängerte Werkbank” europäischer Firmen sollte als ein Konzept der Vergangenheit gelten.

   Es ist offenkundig, dass ein grosser Teil der amerikanischen und europäïschen Industrie ohne die fleissigen Chinesen, ohne die feinen Finger und scharfen Augen der Frauen nicht mehr lebensfähig ist. Nirgendwo auf der Welt kann nach übereinstimmender Meinung amerikanischer  Bosse** besser Feinarbeit geleistet werden, als in China. Es sind nicht mehr nur die Produktionskosten, die China unschlagbar machen: es ist mittlerweile die Qualität der Arbeit.

   Dies wissend, haben amerikanische und europäische Firmen seit einigen Jahren versucht, in andere Länder auszuweichen: nach Vietnam, Kampuchea, Thailand, Indonesien, Indien. Immer war das Ergebnis enttäuschend. Was heisst das für Europa?

   Die einzige Hoffnung, aus der Abhängigkeit von Chinas Arbeitern zu entkommen, bietet die künstliche Intelligenz. Bislang war es üblich, technisch anspruchsvolle Geräte in Europa zu entwickeln, in China fertigen zu lassen, und als Made in Germany/France/Italy zu verkaufen. Man kann hoffen, dass KI es erlauben wird, Fertigung nach Europa zu holen, die der chinesischen Qualität und Flexibilität entsprechen kann. Das wäre ein hohes Ziel, das nur erreicht werden kann, wenn sich die Politik damit identifiziert.

   Was wir brauchen, ist keine diskriminatorische Politk, die dem Made in PRC Steine in den Weg legt, sondern eine Politik, die es möglich macht, mittels HiTech chinesische Qualität wettbewerbsfähig in Europa zu erzeugen.

   China als Werkbank ist nur ein Aspekt der europäischen Abhängigkeiten. Ein anderer ist die Bedeutung des chinesischen Markts für Europas Exporte. Bei Parfums und Kindernahrung ist das sicherlich kein Problem, wohl aber bei Autos und Maschinen. Jede Meldung über einen Absatzrekord in China ist zwar prima facie erfreulich, bedeutet aber im Umkehrschluss eine verstärkte Abhängigkeit des Herstellers vom chinesischen Markt und seiner ebenso unberechenbaren wie allmächtigen Einparteien-Regierung.

   Europa wäre gut beraten, die Verflechtung seiner Wirtschaft mit China trotz allem Streben nach Globalisierung schrittweise abzubauen. Der wirtschaftliche Gewinn einer immer engeren Umarmung wiegt nicht den Verlust politischer Unabhängigkeit an einen immer drastischer auftretenden Hegemon auf.

   Will Europa auf lange Sicht selbsbestimmend bleiben, muss es das Druckpotential Chinas vermindern.

 

Heinrich von Loesch

 

1)

Eine ausgezeichnete Darstellung der chinesischen Strategie in Europa findet man im estnischen Jahresbericht International Security 2020 and Estonia (ab S. 70), der erheblichen Unwillen Chinas erregte.

 

 

* Süddeutsche Zeitung, 30.4/1.5.20

** Bringing Manufacturing Back

    Dependent on China?

 

Update

Seit US-Präsident Donald Trump die verschleiernde Strategie Chinas zu Beginn der SARS-Cov2 Pandemie zum Anlass nimmt, China wahlwirksam als neues Feindbild aufzubauen, bemüht sich die US-Regierung verstärkt, die wirtschaftliche Abhängigkeit des Landes von China zu vemindern. So soll die Desinisierung vollzogen werden:

Supply Chain:

"According to the current and former officials, the US Commerce Department, State and other agencies are increasingly searching for ways to push companies to move both sourcing and manufacturing out of China. Tax incentives and potential re-shoring subsidies are alongside measures being considered to spur changes. 

"Nach Angaben jetziger und früherer Beamten suchen das US-Handelsministerium, das Außenministerium und andere Behörden zunehmend nach Möglichkeiten, Unternehmen dazu zu bewegen, sowohl die Beschaffung als auch die Produktion aus China heraus zu verlagern. Steuerliche Anreize und potenzielle Heimkehr-Subventionen stehen neben weiteren Maßnahmen, die in Betracht gezogen werden, um Veränderungen zu beschleunigen.". 

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