Djibouti -- Äthiopiens Hongkong?
Nur spärlich fliessen Nachrichten vom Horn von Afrika nach Europa. Gewöhnlich handelt es sich um Hungersnöte (wie jetzt wieder) oder um Attentate in Somalia. Dabei ist die gesamte Region unruhig und in steter Veränderung.
Das kleine Djibouti ringt um seine Existenz. Immer drückender wird die Übermacht des 100-Millionen-Nachbarn Äthiopien. Äthiopien ist ein Binnenland. Ein blutiger Krieg mit Eritrea brachte der Regierung in Addis Abeba nicht den erstrebten Erfolg, nämlich die Einnahme des Rotmeer-Hafens Assab. Wie ein langer Riegel liegt Eritrea zwischen Äthiopien und dem Meer. Doch es gibt noch einen Zugang zum Ozean: Djibouti. Seit der Unabhängigkeit Eritreas ist Äthiopien mit 95 Prozent seines Aussenhandels auf Djibouti angewiesen.
Früher gab es nur eine Telegraphenlinie Djibouti-Addis, die Äthiopiens Hauptstadt mit der Welt verband. Wenn ein Pavian mit seinem Hinterteil auf einem Mast sass und sich sonnte, war Kurzschluss und Addis von der Welt abgeschnitten. Die hundert Jahre alte, französische Schmalspurbahn wurde erst 2016 durch eine moderne Bahn ersetzt, die China gebaut und mit 4 Milliarden Dollar finanziert hat. Seither ist Djibouti noch wichtiger für Äthiopien geworden.
map:CIA.gov
Am 3. März wurde bekannt, dass äthiopische Soldaten heimlich in Djibouti einmarschiert sind. Hat die Regierung sie wegen innerer Unruhen gerufen? Oder künden sie nur von dem de facto Ende der Unabhängigkeit des Kleinstaats?
Äthiopien ist nur eine der Mächte, die in Djibouti Einfluss nehmen. Die USA unterhalten direkt neben dem Flughafen mit Camp Lemonnier ihre grösste Militär- und Flottenstation in Afrika. Nicht genug, nun siedelt sich in Reichweite der Amerikaner auch China an mit einer Niederlassung. Beide, China und die USA haben ein Interesse daran, dass Djibouti unabhängig bleibt.
Das kleine Land von 790.000 Einwohnern wird nicht nur von Grossmächten bedrängt, auch intern brodeln Konflikte. Das Tiefland entlang der Rotmeerküste und dem Indischen Ozean ist von zwei traditionell verfeindeten Stämmen besiedelt, den äthiopischen Afar und den somalischen Issa. Djibouti wird zwar von Issa regiert, zählt aber eine starke Afar-Minderheit, die sich in letzter Zeit machtbewusster zeigt.
Es geht derzeit um die Nachfolge des Präsidenten Ismail Omar Guelleh, der bei der Wahl im kommenden April eine verfassungsrechtlich nicht erlaubte dritte Amtszeit anstrebt. Nach gewalttätigen Unruhen waren drei Oppositionsführer eingesperrt und erst am 20. Februar freigelassen worden.
Obwohl die Mehrheit der Afar nominell Moslems sind, liegen die Sympathien der grossen islamischen Mächte deutlich bei den Somalis, die zwei Drittel der Bevölkerung von Djibouti ausmachen. Dubais Regierung hat 2009 für ihre Gesellschaft DP World eine 50 Jahre gültige Lizenz erworben, den neuen Containerhafen Doraleh als dritten Überseehafen in Djibouti zu betreiben. DP World ist einer der grössten Hafenbetreiber der Welt. Der Investor Tarek bin Laden in Saudi-Arabien betreibt eher zögerlich das Projekt einer 27 Kilometer langen Brücke über die Meerenge Bab-el Mandeb, die Djibouti mit dem Jemen verbinden würde.
Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich unterhält mit der Fremdenlegion in Djibouti ihren grössten Militär-Stützpunkt in der Welt. Auch Japan ist mit seinem weltweit einzigen Stützpunkt vertreten. Frankreich hat seine ex-Kolonie im Bürgerkrieg von Djibouti (1991-2001) erfolgreich gegen die Afar verteidigt und würde dies mutmasslich auch wieder tun: eine bislang wirksame Abschreckung äthiopischer Annexionsgelüste. Auch wenn man in Addis Abeba offen davon spricht, Djibouti in eine Art von Hongkong zu verwandeln und wirtschaftlich in Äthiopien zu integrieren, so kann doch Frankreich jederzeit seine Macht als Protektor des Kleinstaats ausspielen und Äthiopien in die Schranken verweisen. Addis Abeba versucht es daher mit einem "Zwei Systeme -- ein Land" - Modell und plant mehrere Häfen in der Provinz Obock, wo Djibouti direkt am Bab-el Mandeb liegt und Zugang zu beiden Meeren hat, dem Roten Meer und dem Indischen Ozean.
Äthiopien könnte aber auch Djibouti umgehen und in das Nachbarland Republik Somaliland einfallen, die Hauptstadt Hargeisa besetzen und Berbera zu seinem Hafen ausbauen. Historische Begründungen für eine solche Invasion lassen sich leicht finden. Wer wird Somaliland verteidigen? Die ehemalige Kolonialmacht Grossbritannien? Oder Ägypten und die Emirate, die in Berbera einen Stützpunkt einrichten?
Ein weiterer Akteur in Djiboutis Politik ist das benachbarte Eritrea. Obwohl zu 50 bis etwa 60 Prozent christlich, verfolgt das Land eine pro-moslemische Politik. Zum grossen Ärger der Westmächte und Äthiopiens unterstützt Eritrea traditionell die radikal-islamischen Aufständischen in Somalia. Dafür wird es von Saudi-Arabien, den Emiraten und vor allem Ägypten hofiert. Die Ägypter sorgen sich um ihre Wasserversorgung, die durch den Bau des äthiopischen Hochdamms GERD am Blauen Nil gefährdet ist. Eine angestrebte gemeinsame Kommandobasis in Eritrea würde es den Ägyptern erlauben, militärisch in unmittelbarer Nähe des Damms präsent zu sein, mit allen möglichen militärischen Folgen.
Die Araber sind erpicht, das Rote Meer zu einem arabischen Binnengewässer zu machen, und Djibouti als befreundeten Wächter des Bab-el Mandeb und als Überseehafen zu erhalten. Ihr Gegner ist auf der afrikanischen Seite die amerikanisch-äthiopische Allianz, auf der arabischen Seite beklagen sie die Einmischung Irans im jemenitischen Bürgerkrieg.
Eine reiche Auswahl an Gross- und Mittelmächten streitet sich derzeit um die Kontrolle Djiboutis. Eine Situation, in der sich das kleine Land keine inneren Streitigkeiten leisten kann. Doch ein Präsident, der nicht abtreten will, gefährdet das labile Gleichgewicht.
John Wantock