Zwangssparen

    Bislang galt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit den Folgen der Pandemie für die Beschäftigung, die Einkommen und die Wirtschaft im allgemeinen. Dass die enormen Schäden, die mittlerweile Milliarden Menschen betreffen, eine gemeinsame Ursache haben, wird selten angesprochen. Es ist der Rückgang der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, der weite Teile der Wirtschaft lähmt.

     Was auch immer der Grund des Nachfragerückgangs – Coronavirus, pessimistische Erwartungen, oder auch nur Hysterie – sein mag, ihm steht spiegelbildlich Ersparnis gegenüber. Individuen oder Unternehmen konsumieren weniger, investieren weniger. Sie halten Kaufkraft zurück, aus drei möglichen Gründen:

– weil ihnen das erforderliche Einkommen fehlt (Arbeitslosigkeit, Illiquidität, Pleite)

– weil Ausgangssperren, Ansteckungsangst und Schliessung von Unternehmen und Einrichtungen sie daran hindern, Güter oder Leistungen nachzufragen

– weil Börsencrash und düstere Zukunftsperspektiven ihnen Sparsamkeit und Verzicht auf Investitionen und langfristige Engagements ratsam erscheinen lassen.

    Das Ergebnis der Ausgangssperren und Schliessungen ist Zwangssparen. Der Konsument möchte nachfragen, darf oder kann aber nicht, zumindest in der realen Welt. Die digitale Welt bietet zwar Ersatz, aber nur teilweise und bedingt, denn Lieferschwierigkeiten treten dort auf, wo sich die digitale und die reale Welt verknüpfen.

    Das Zwangsgesparte vergrössert die privaten Vermögen der behinderten Nachfrager, stürzt aber die Anbieter in tiefe Probleme. Die Politik sieht sich gefordert, den geschädigten und frustrierten Anbietern von Arbeit, Gütern oder Dienstleistungen zu helfen. Als Ergebnis greift die Politik tief in den Staatssäckel und schiebt öffentliche Gelder zu den geschädigten Personen und Unternehmen, teils auf Kredit, teils als Geschenk.

    Das Ergebnis ist eine Umverteilung von öffentlichem zu privatem Vermögen. Was ursprünglich als Soforthilfe gedacht war, wandelt sich zur Struktur, ja länger und tiefer die Pandemie anhält. Der Staat ist gezwungen, Arbeitslose, Kleinunternehmer und Konzerne so lange zu subventionieren, bis die Krise endet oder die Schwelle zur Staatspleite erreicht ist.

    Was das Verhältnis zwischen den Wirtschaftssubjekten und dem Staat kennzeichnet, gilt auch in der Beziehung zwischen Staaten, wenn sie politisch verbunden sind. Im Falle der Europäischen Union beispielsweise fordert die Politik, dass die zuerst von der Pandemie betroffenen Staaten von anderen subventioniert werden, denen die Pandemie erst später zusetzt. Dabei wird nicht bedacht, dass es möglich ist, dass die zuerst betroffenen Länder die Krise auch als erste verlassen und sich wirtschaftlich erholen werden, wenn sich andere Länder noch tief im Seuchenverlauf befinden. Werden die zuerst Genesenen dann den Verspäteten finanziell helfen?

    Was die Umverteilung von staatlichem zu privatem Vermögen anlangt, ist damit zu rechnen, dass die Politik versuchen wird, die Entreicherung des Staats später zu korrigieren. Ein Teil der Kredite wird wohl später getilgt werden, doch der überwiegende Teil der Staatshilfen wird umso sicherer als verloren gelten müssen, je länger die Pandemie dauert und je tiefer sie die Wirtschaft schädigt. Bleiben nur drei Wege, den Staat wieder finanziell aufzurichten: Wachstum, Steuererhöhungen und Inflation.

    Je länger die Krise dauert, desto sicherer wird der erzwungene Konsumverzicht dauerhaft in dem Sinne, dass aufgeschobener Verbrauch nicht nach Ende der Krise nachgeholt wird. Sicherlich wird es nach Ende der Krise einen kleinen Verbrauchsboom geben, aber die wieder erwachte Nachfrage wird die Anbieter immer unvollkommener für die Verluste entschädigen, je länger die Pandemie gedauert hat.

    Möglicherweise wird sich ein weiterer Effekt einstellen: es ist denkbar, dass der erzwungene Konsumverzicht psychologische Folgen zeitigt. Verbraucher könnten Gefallen an dem frugalen Leben der Krisenzeit gefunden haben und ihren Konsum dauerhaft drosseln mit der Folge einer steigenden volkswirtschaftlichen Sparneigung. Das Streben nach Klimaschutz und ressourcenschonendem Lebensstil könnte in der Folge zu einer permanenten Nachfrage- und Wachstumsschwäche führen.

Heinrich von Loesch

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