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Italien: Mit geschlossenen Augen in der Geisterbahn

    Das derzeitige Polittheater in Rom wird von der Welt als Italienkrise wahrgenommen. Die Italiener selbst gehen ihrm Alltag nach, bereiten ihren Sommerurlaub vor und freuen sich, dass endlich etwas passiert. Volevo rovesciare il tavolo, sagt ein 5-Sterne-Wähler, “ich wollte den Tisch umstürzen”.

   Das ist ihm gelungen. Der Tisch streckt die Beine nach oben. Die alten Parteien sind praktisch in der Versenkung verschwunden. Italien erlebt ein neues Zwei-Parteien-System. Die Lega als Nordpartei, die 5 Sterne als Südpartei. Statt sich gegenseitig zu bekämpfen, wollen sie gemeinsam regieren. Das hatten die Italiener nicht erwartet.

   Statt der üblichen Karusselfahrt der Römer Politik finden sich die Italiener unversehens in der Geisterbahn. Wollten sie wirklich da hinein? Viele haben Angst, was kommen wird. Zu viele Gespenster haben die beiden Parteien mit ihren Wahlparolen an die Wände gemalt. Besser nicht hinschauen, besser die Augen schliessen und durchfahren. Erst mal in den Urlaub.

   Das hübscheste Gespenst in der Geisterbahn ist der (soeben bekannt gewordene) Plan B des noch-nicht Ministers Paolo Savona. Acht Milliarden Neue Lire werden höchst geheim ( in Russland) gedruckt. Am Freitagabend eines kommenden Wochenendes wird in Rom das Ende des Euro für Italien verkündet. Am Samstag und Sonntag werden alle Bankkonten auf Lire umgestellt, werden der Internationale Währungsfonds und die wichtigsten Zentralbanken informiert. Am Montagmorgen geben Banken und Geldautomaten die Neuen Lire aus. Da die Neue Lira sofort an Wert gegenüber dem Euro verliert, entdecken die Italiener, dass sie über Nacht zwischen 20 und 40 Prozent ihres Vermögens – und wahrscheinlich auch ihres Einkommens – verloren haben. Ihre Schulden aber, die sie sich in Euro aufgeladen haben, sind in Neuen Lire um 20-40 Prozent gestiegen. Und das ist nicht das Ende, sondern nur der Beginn der Inflationspolitik einer Regierung, die damit die Wirtschaft anregen, den Export stärken und die Einfuhr beschränken will. Adieu, Italiens Wohlstand der hohen Gehälter, der frühen Pensionen, der freien Krankenversorgung, der BMW-Autos und der Ferienflüge ins Ausland. Stattdessen Abstieg auf griechisches, portugiesisches, rumänisches Niveau.

   Savona?  “Ein Spinner”, sagt ein hoher, soeben pensionierter Beamter der Bank von Italien. Er verweist darauf, dass die Italiener zwar die EU und Brüssel sehr kritisch sehen, aber am Beispiel Griechenland gelernt haben, dass man den Euro unbedingt behalten muss.

   Vernunft und Fachwissen sind derzeit in Rom so wenig gefragt wie in Präsident Trumps Weissem Haus. Knallige Parolen befolgen, Wahlversprechen einhalten, alles anders machen als die Vorgänger und dafür viel Geld ausgeben – das ist, kurz gefasst, der Inhalt des vorliegenden Koalitionsvertrags. Die Unnachgiebigkeit, mit der die Koalition auf der Personalie Savona beharrt, zeigt den Italienern, dass ihr Euro keineswegs so sicher ist, wie man glauben möchte.

   In der Nussschale ist das Ganze ein Missverständnis: viele Italiener wählen die Lega weil sie als einzige Partei dezidiert fremdenfeindlich ist, nicht weil sie den Euro abschaffen will. Die Leute sind es leid, alle Bootsleute aufnehmen zu müssen ohne sie an andere EU-Staaten loszuwerden. Sie sind es leid, dass vor vielen Supermärkten und Kaffeebars ein Schwarzafrikaner bettelt, dass an jeder automatisierten Tankstelle ein Bangladeshi lungert, der auf Trinkgeld hofft. Sie sind es leid, dass ihre Kinder die Schulbank teilen mit Ausländerkindern, die kein italienisch können, die oft nicht einmal lateinische Buchstaben verstehen und dadurch den Unterricht erschweren. Das traditionell xenophobe Norditalien erwartet, dass eine Lega-Regierung in Rom die Migranten (selbst die aus Albanien und Rumänien) ausschafft.

Lega Chef Matteo Salvini weiss genau, dass das mit dem Ausschaffen aus rechtlichen und humanitären Gründen nicht klappen wird, egal wieviel Druck er macht. Deswegen visiert er den Euro als Zielscheibe an. Wenn die Lega an der Regierung wäre, würde Italien den Euro verlassen, hat er versprochen. Deswegen besteht er auf Paolo Savona als dem Rammbock, der die Festung Euro aufbrechen soll. Selbst wenn Savona offiziell nicht das Ressort Wirtschaft erhält.  So kommt es, dass die Wähler von der Lega statt einer humanitären eine ökonomische Katastrophe angeboten bekommen, vor der sie sich fürchten. Wenn die beiden Parteien erst an der Regierung sind, ist es zu spät für die Italiener, die Notbremse zu ziehen. Dann machen die Parteien mit ihrer satten Mehrheit im Parlament, was ihnen einfällt. Und wenn Brüssel und die EZB opponieren, dann erst recht.

Die Geisterbahn hat keinen Notausgang.

Benedikt Brenner

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