Warum bauen wir heute die Armenwohnungen von morgen?
Der Wohnungsbau ist im Umbruch. Das Nullenergiehaus ist das Ziel. Architekten, Baustoffindustrie und Gesetzgeber eint das Ziel, gesund und vor allem energiesparend zu bauen. Fotovoltaik aufs Dach, Wärmepumpenrohre in den Boden. Fabelhaft, und so fortschrittlich!
Aber ist es das, was künftige Generationen wünschen werden? Man darf zweifeln.
Künftige Generationen werden vermutlich körperlich grösser sein als wir – in Zentimetern Körperhöhe gemessen. Um 1914 waren deutsche Männer im Durchschnitt 167,2 cm gross. Um 1950 hatten sie 176,8 cm erreicht. Und jetzt sind sie bei 180 cm angelangt.
Die Höhe von Wohnräumen ist in Deutschland aber seit 1945 nicht mitgewachsen. Daraus ergibt sich die kuriose Situation, dass mehr und mehr Männer – und einige Frauen -- in ihrer Wohnung die Decke mit den Fingern berühren können. Die diversen Landesbauordnungen schreiben Mindesthöhen zwischen 220 und 250 cm vor.
Die in Hamburg zwischen 1948 und 1966 errichteten Backsteingebäude haben meist eine Raumhöhe von 2,2 Meter. Ab den 1960er Jahren betrug die Raumhöhe in Neubauten meist 2,4 Meter oder mehr. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs errichtete städtische Wohnungen besitzen häufig Deckenhöhen von 3,3 Metern und mehr
De facto werden in Deutschland seit Jahrzehnten Wohnungen und Häuser mit durchschnittlich 250 cm Raumhöhe gebaut, in Duisburg-Marxloh ebenso wie in München-Grünwald. Man hat sich daran gewöhnt. Im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung sind die Wohnräume zwar grösser geworden, aber nur in der horizontalen Dimension.
Wenn Makler ein Anwesen anbieten, das nicht einmal diese Raumhöhe erreicht, nennen sie es gerne „gemütlich, heimelig, romantisch“.
Ob kommende Generationen das akzeptieren werden?
Was nach 1945 sinnvoll war, als Wohnraum für Millionen Bombenopfer und Flüchtlinge billig geschaffen werden musste, wirkt heute absurd. Die Menschen werden nicht nur grösser, auch ihre Ansprüche steigen. Wenn die ihnen zur Verfugung stehenden Wohnräume Schuhschachteln gleichen, suchen sich ihre Ansprüche andere Zielrichtungen: beispielsweise Fahrzeuge und Ferienreisen. Nur raus aus dem trauten Heim!
Nicht alle Deutschen akzeptieren das 2.50 Meter-Schicksal. Auffällig gesucht und hoch bewertet werden Uraltwohnungen und -Häuser, vor allem Altbauten aus der Gründerzeit mit ihren hohen Räumen. Derzeit bieten Baufirmen sogar neue Luxuswohnungen mit 3.50 Meter Raumhöhe an, denen sie besondere Heizersparnis bescheinigen, weil man weniger lüften muss.
Jedenfalls sollte Deutschlands Bauwirtschaft bedenken, dass künftige Generationen andere Ansprüche stellen werden und die heutigen Wohnungen ärmeren Interessenten überlassen könnten, vor allem Einwanderern.
Was die Bauvorschriften anlangt, sollten die deutschen Länder über die Grenzen schauen. Italien beispielsweise erlaubt keine Wohnbauten unter 3 Meter Raumhöhe. Daran könnte sich Deutschland orientieren, wenn es seine Vergangenheit überwinden und in zukunftssicheren Wohnbau investieren will.
Heinrich von Loesch