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Griechenland: Krieg gegen die Institutionen

 

   Zu Beginn der Krise sagte IFO-Chef Hans-Werner Sinn, Griechenland habe nur zwei Alternativen: entweder das Ausscheiden aus dem Euro, oder einen so schmerzhaften Schrumpfungsprozess, dass dies zu Unruhen und Aufständen führen würde.

   Recht hatte er. Die Schrumpfung der Wirtschaft um rund dreissig Prozent war so schmerzhaft, dass es nicht bei gewalttätigen Protesten blieb, sondern dass die Griechen einen Rattenfänger wählten, der ihnen ein Ende des Schmerzes versprach, so sie nur das Kreuzchen auf dem Wahlschein bei ihm setzten.

   Nun haben sie die alternative Regierung, die sie unter normalen Umständen nie gewählt hätten. Dieser Regierung haben sie einen unerfüllbaren Auftrag erteilt. Sie soll alles anders machen, ohne jedoch den Euro und damit die Nabelschnur nach Europa zu gefährden.

   Genau das tut diese Regierung nun. Sie redet, redet, redet sich um Kopf und Kragen, wie es scheint. Sie sägt an der Nabelschnur.  Was ist passiert?

   Der historische Zufall einer von zwei Generationen bürgerlicher Politiker verschuldeten Existenzkrise spülte ein Gruppe junger Linksintellektueller nach oben und vertraute ihnen die Macht an. Theoretisch brillant aber praktisch unerfahren, stolperten sie in das Regierungsgeschäft, begierig, alles anders und besser zu machen. Ihre Amtsvorgänger hatten ihnen tabula rasa hinterlassen.

   Man muss dem jungen Team ein dickes Kompliment machen: sie bringen ein für Griechenland ungewöhnlich hohes Mass an Redlichkeit mit. Bislang wenigstens. Sie achten das Gesetz. Sie haben bisher keine besiegten Gegner verfolgt und eingesperrt. Sie unterdrücken keine Opposition. Sie brauchen keinen Personenkult, denn sie sind ohnehin omnipräsent in den Medien. Es gelang ihnen, das Land aus der bleiernen Hoffnungslosigkeit aufzurütteln, der kollektiven Depression, unter der Hellas seit Beginn der Krise leidet.

   Doch so leichtfüssig, wie sie an die Macht kamen, sind sie nicht. Sie sind die Erben einer langen und traurigen Geschichte, und die Last dieses Erbes hemmt ihren Schritt.

   Noch immer ist Griechenland im Prinzip im Bürgerkrieg gefangen. Nach dem Ende des II. Weltkiegs zerfiel Hellas in zwei Lager: das bürgerliche und das kommunistische. "Die mit der Schokolade in den Taschen haben gesiegt", klagte Odysseas Elytis, einer der linken Dichter.

   Dank britischer Hilfe und Stalins Verrat siegten die Bürgerlichen, doch die Linken haben die Niederlage nie verwunden. Seit 65 Jahren warten sie auf die Chance ihre Katastrophe ungeschehen zu machen. 

   Schon einmal blitzte Hoffnung auf.  1963 kam ein Zentrumspolitiker namens Giorgos Papandreou an die Macht. Er verordnete Ungeheuerliches: er erlaubte den Gebrauch der Volkssprache Demotiki in Ämtern. Bis dato war als offizielle Sprache nur die Katharevousa gestattet, eine ans antike Griechisch angelehnte Kunstsprache, die nur Akademiker wirklich beherrschten.

   Mit dieser Massnahme beseitigte Papandreou -- der Grossvater des heutigen Politikers gleichen Namens -- die Sprachlosigkeit des einfachen Volkes, das vordem für jeden Behördenbrief einen Schreiber brauchte. Solche Reformen, die Papandreou anstiess, erregten den Zorn der Bürgerlichen. 1965 putschte König Konstantin II. mit einer Gruppe von Politikern Papandreou aus dem Amt.

   Erst 1981 gab es mit Andreas Papandreou -- dem Sohn des Giorgos -- einen sozialdemokratischen Premier. Er und seine Partei PASOK gerieten jedoch schnell in die Fänge der korrupten bürgerlichen Wirtschaft, zum Entsetzen der beiden kommunistischen Parteien -- einer moskautreuen und einer eurokommunistischen.

   Als in den folgenden Jahrzehnten die Kommunisten nur die Rolle eines Mauerblümchens spielten, so täuschte das Bild. Die die stalinistische Tradition pflegende Moskau-Partei KKE stiess mit ihrer Versteinerung die Wähler ab.  Doch wenn man mit den Menschen in Griechenland sprach, merkte man, dass linkes Denken immer noch mehrheitsfähig war. Linke Orientierung wurde von Vater zu Sohn tradiert, selbst wenn man mangels glaubwürdiger Alternative sozialdemokratisch wählte.

   Nach 2009 stiess die Krise die sozialdemokratische PASOK in den wohlverdienten Mülleimer der Geschichte. Die Aufmerksamkeit der Griechen richtete sich auf den linken Rand, und da hatte sich mit Syriza ein neues Sammelbecken kleiner Gruppen formiert, jedoch ohne die Moskau-Kommunisten der KKE, die den Sprung über den Abgrund zwischen Stalin und Putin bewältigt hatten.

   Tsipras und seine Leute verstehen sich als die erste wirklich linke Regierung seit dem II. Weltkrieg. Sie sehen sich als Testamentsvollstrecker ihrer Grossväter. die mit Haft, Exil und Diskriminierung für ihren Kampf im Bürgerkrieg büssten.

   Wieder ist es in den Worten von Tsipras ein Krieg, der geführt wird. Die mit der Schokolade in den Taschen, das sind die Institutionen, die EU, der Internationale Währungsfonds, die EZB, Schäuble und Merkel. Allein gelassen von Russland und China, "ohne eine Handbreit unter dem Herzen", wie Elytis sagte, kämpfen die linken Patrioten erneut gegen alle, für ein neues Hellas, ein neues Europa.

   Die stets links gebliebene Hälfte der Griechen jubelt ihnen zu. Das alte Pathos, es ist wieder da. Balsam für die von der Troika getretene Volksseele.

   Noch ist die Wirklichkeit nicht angekommen. Noch erfreut man sich an den schönen Versprechungen: der Wiedereinstellung der Gefeuerten, den Lebensmittelkarten für die Ärmsten, den Mietzuschüssen und Räumungsstops, an dem kostenlosen Strom für die vom E-Werk abgeklemmten Bürger. Kommunistische Volksbeglückungs-Reflexe nach Art der Brotsubventionen im alten Ostblock, als die Bürger Kleinvieh auf ihren Plattenbau-Balkons hielten und mit Brot fütterten, weil das billiger war als Getreide.

   Wirtschaftlich ist die Lage so verzweifelt wie in einem dem Konkurs geweihten Unternehmen, das sich in der Hoffnung auf einen Retter in letzter Minute mit fragwürdigen Geldbeschaffungsmethoden über Wasser zu halten versucht. Statt Reformen anzupacken, konzentriert sich alle Arbeit auf die Sicherung des Überlebens in der nächsten Woche, im nächsten Monat, in vier Monaten.

   Die Strategie von Tsipras könnte funktionieren in einem saturierten Land wie Dänemark, mit Reserven, die es erlauben, einen temporären Steuerstreik, eine stagnierende Wirtschaft und einen Run auf die Banken auszusitzen. Wie das in dem erschöpften, depressiven Hellas gehen soll, ist rätselhaft. Zumal, wenn man den guten Rat von Freunden zurückweist, die man verdächtigt, der Feind mit der Schokolade in den Taschen zu sein.

   Noch klatscht die intellektuelle Linke Europas der Syriza Beifall, macht ihr Mut, sieht sie als Modell für ein neues, linkes Europa. Aber wo werden die Applaudierer sein, wenn doch der so lange befürchtete Unfall passiert, der Griechenland in die Zahlungsunfähigkeit und ins Moratorium treibt?  Wer wird die Griechen trösten, wenn über Nacht dreissig, vierzig Prozent des Volksvermögens verschwunden und die Schulden in den Himmel gestiegen sind?

   Syrizas Erklärung für den Unfall steht schon fest: es ist eben das Schicksal der Linken, trotz heldenhaften Kampfes immer zu verlieren. Was an Vermögen verloren geht, wird an Pathos gewonnen. Wieder wird es Barden geben, die das traurige Schicksal der Hellenen besingen, jahrzehntelang. Und die grosse Türkei wird sich über ihren neuen Satelliten freuen.

Ihsan al-Tawil

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