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Flüchtlingspolitik 2016

 

Das Jahr 2016 hat mit einem -- jahreszeitlich betrachtet -- enormen Zustrom von Migranten begonnen. Die UN-Flüchtlingsorganisation OIM warnt, dass 2016 die Rekordzahlen des Vorjahres wahrscheinlich noch übertreffen wird.  Wie bereitet sich die EU, wie bereitet sich Deutschland auf den Ansturm vor? Eine bange Frage, die bislang ohne Antwort blieb.

   Der Plan A einer europäischen Lösung mittels staatlichen Verteilungsquoten von Flüchtlingen ist krass gescheitert.

   Der Plan B, der die Türkei zum Erfüllungsgehilfen machen wollte, der gegen Geld und Versprechungen die Flüchtlinge an der Weiterreise nach Griechenland hindert, ist nach bisherigem Kenntnisstand ebenfalls gescheitert.

   Ein Plan C existiert bislang nicht. Nach dem Scheitern von A und B bleibt nur Ratlosigkeit. Das Motto des Tages heisst: weiterwursteln. Jedes Land tut, was ihm sinnvoll und möglich erscheint; gegenseitige Rücksichtnahme und supranationale Abstimmung gibt es nicht. Wieviel Schengen in Europa verbleibt, entscheidet einzelstaatlich die Machtprobe zwischen Flüchtlingsvermeidung und Wirtschaft.

   Das Streben nach Flüchtlingskontingentierung und – kontrolle verlangt Zäune und Warteschlangen an den Grenzen; die Wirtschaft verlangt volles Schengen ohne Warteschlangen. Wer wird stärker sein?

   Deutschlands unerwartetes Glück sind die vielen Grenzen auf dem Balkan, die wie ein mehrstufiges Filter Migranten aussieben, bevor sie sich an Inn und Salzach präsentieren können. Mehrstufige Abriegelung durch Grenzbehörden, die znehmend weniger humanitäre Skrupel zeigen, könnte zumindest teilweise die Massnahmen ersetzen, die Europa vergebens von der Türkei erwartete.

   In einer Art Rückwärtsprozession würden die an Inn und Salzach abgelehnten Migranten nach Österreich zurückgereicht. Zusammen mit den bei Spielfeld abgelehnten Migranten würde Österreich sie nach Slowenien weiterreichen. Slowenien wiederum gäbe sie durch Kroatien, Serbien und Mazedonien an Griechenland weiter, dem die Aufgabe zufiele, Zigtausende auszufliegen in Länder, die gegen Geld und gute Worte aus Brüssel und Berlin abgelehnte Migranten einreisen lassen. Die Organisation der Deportationen sollte Frontex uebernehmen. Viele Migranten würden ihr Heimatland nicht wiedersehen. Etliche würden Grund haben, darüber froh zu sein.

   Da die Migranten, bis sie Deutschland erreichen, meistens ihr gesamtes Geld verbraucht haben, fallen die Kosten des Rücktransports in den Durchgangsländern und vor allem in Griechenland an. Das wird Kompensation von Berlin und Brüssel erfordern.

   Für diesen planlosen Plan C stehen immerhin die angedachten 3 Milliarden Euro zur Verfügung, die die EU den unwilligen Türken voraussichtlich nicht zu zahlen braucht.

   Aber was macht man mit der Türkei? Ganz einfach, wenn es im Guten nicht geht, vielleicht geht es im Bösen?

   Man könnte die Türkei für ihren Mangel an Hilfsbereitschaft abstrafen. Zunächst sollte man die Idee, die Türkei zum sicheren Land zu erklären (damit man ihm Flüchtlinge zurückreichen kann) vergessen.

   Die Türkei ist das Gegenteil von sicher: sie ist ein Bürgerkriegsland, in dem eine Regierung von fragwürdiger demokratischer Qualifikation Krieg gegen die terroristische Widerstandsbewegung einer ethnischen Minderheit führt. Wann werden die ersten kurdischen Flüchtlinge das Sortiment der Migranten erweitern?

   Falls die Türkei die griechischen Inseln weiterhin mit Bootsleuten bombardiert, wie es ein griechischer Politiker nennt, so sollte man über Sanktionen nachdenken. Die Beispiele von Russland und Iran bieten eine reiche Auswahl an schmerzhaften und erprobten Sanktionen. Da gibt es Instrumente wie beispielsweise eine Visa-Sperre für Politiker.  Im Bankensektor gibt es Möglichkeiten, mit kleinen Sanktionen die ohnehin angeknackste türkische Lira auf Talfahrt zu schicken.

   In Kenntnis solcher Möglichkeiten würde Professor Davutoğlu , der türkische Regierungschef, vielleicht weniger siegesgewiss lächeln, wenn er mit Frau Merkel das nächste Mal vor die Presse tritt.

   Da die Kommunikation über soziale Medien bei Migrationskandidaten gut funktioniert, kann man erwarten, dass sich Nachrichten über eine zunehmende Sperrung der Balkanroute schnell herumsprechen. Verbreitet sich dazu Kenntnis der Methoden, mit denen die Rückführung oder Deportation in ein Drittland erfolgt, so wird der Kreis der Reiselustigen auf jene Fälle schrumpfen, bei denen es wirklich um Leben oder Tod geht -- die echten Flüchtlinge also, denen man helfen will. 

   Mancher Dieb in Casablanca wird vor Kauf eines 60 Euro-Tickets nach Istanbul überlegen, was er riskiert, wenn er bei der Rückkunft in der Heimat verhaftet wird, oder wenn er garnicht in Marokko landet, weil seine Regierung ihn nicht zurück haben will und die EU ihn irgendwo im Busch ablädt.

   Die Kampagne, mit der die deutsche Botschaft in Kabul Afghanen vor der Reise nach Deutschland warnt, hat jedenfalls breites Interesse erregt. Kampagnen dieser Art in einem Dutzend Länder wären sinnvoll. Schlecht nur, dass Deutschland in Ländern wie Eritrea garnicht präsent ist -- vom Erlaubnis, eine solche Kampagne zu starten, ganz zu schweigen.

Heinrich von Loesch

Update

Die langjährige Türkei-Korrespondentin der Süddeutschen Zeiung, Christiane Schlötzer, hat einen interessanten Vorschlag gemacht: man solle einen EU-Hotspot in Edirne (Adrianopel) nahe der griechischen Grenze einrichten und dort die Flüchtlinge sortieren. (SZ 23/24.1.16) Die für Asyl Qualifizierten könnten dann auf dem Landweg nach Griechenland einreisen. Die Abgewiesenen (das sagt Schlötzer nicht) würden natürlich ihr Glück per Boot versuchen. Man muss auch damit rechnen, dass die Mafia der Schleuser mit allen Mitteln versuchen würde, die Errichtung des Hotspots zu verhindern und die Flüchtlinge am Betreten des Geländes zu hindern. Niemand lässt sich ein glänzendes Geschäft verderben, an dem die ganze Küstenregion verdient. 

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