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  • Die Zukunft Europas: Mario Draghis Bericht ist erschreckend, aber den Politikern ist es egal ...

Die Zukunft Europas: Mario Draghis Bericht ist erschreckend, aber den Politikern ist es egal ...

 

Es ist die Diagnose, die schmerzt. Mario Draghi erinnert zwar daran, dass die Welt heute mit einem Wandel konfrontiert ist, den die Staaten bewältigen müssen: dem technologischen Wandel, dem Klimawandel und einer starken Veränderung des globalen Gleichgewichts, die mit dem Eintritt neuer Schwellenländer in das Wettbewerbsspiel verbunden ist.

Aber das Beunruhigendste findet sich nicht hier. Es liegt in dem Preis, den Europa zahlen muss, um der Erdrückung zwischen dem Gewicht Amerikas auf der einen und dem Chinas auf der anderen Seite zu entgehen.

Wir müssen aus dem Schema ausbrechen, dem übrigens auch Mario Draghi anhing und das die Existenz einer glücklichen Globalisierung projizierte, weil sie in der Lage war, wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand zu bringen.

Seit dem Jahr 2000 hat diese Globalisierung zwar den Aufstieg Chinas ermöglicht, indem sie ihm die Aufgabe übertrug, die Fabriken der Welt arbeiten zu lassen, aber als Nebeneffekt hat diese Globalisierung, die China reich gemacht hat, auch die Mittelschichten des Westens verarmen lassen, weil sie angab, ihnen Kaufkraft zu verschaffen. Was für ein Irrtum!

 Diese Globalisierung wird die Handelsströme nicht zum Erliegen bringen, aber sie wird ihren Inhalt verändern. Industrielle Umsiedlungen bringen die Industrien nicht dorthin zurück, wo sie vorher waren, sondern führen zu anderen Wertschöpfungsketten. Amerika wird die Designs und die Produktion mit sehr hoher Wertschöpfung übernehmen und behalten. China wird versuchen, sein eigenes Konsummodell anzukurbeln, während es weiterhin das größte verarbeitende Gewerbe der Welt bleibt.

Die Europäische Union ist zwischen China und den USA eingeklemmt und läuft Gefahr, dass ihr einziger Ausweg zum Überleben darin besteht, zu einem riesigen Vergnügungspark für die Mittelschicht der Welt zu werden. Mario Draghi geht noch weiter. Europa weigert sich, seine eigenen Schwächen und die Notwendigkeit seines Wandels zu betrachten.

1° Sein deutsch-französischer Hauptmotor muss völlig neu erfunden werden, denn Deutschland wird sich bewusst, dass die Software, die ihm in den letzten dreißig Jahren außergewöhnliche Leistungen ermöglicht hat, völlig veraltet ist. Deutschland hat keine sauberen Energiequellen mehr (in jedem Sinne des Wortes). Deutschland hat noch eine sehr starke, aber auf die Automobilindustrie fokussierte Industrie, die Ermüdungserscheinungen zeigt, weil ihre mächtigsten Märkte geschlossen werden. China zieht sich auf sich selbst zurück und die Welt bereitet sich fieberhaft darauf vor, auf eine sauberere Mobilität umzustellen.
Frankreich versucht, ein wenig aufzuwachen, indem es sein Atomprogramm wiederbelebt und versucht, seine Attraktivität zu steigern, aber die französische Industrie wird nach wie vor von historischen Sektoren getragen: Luxusgüter, Luftfahrt und Lebensmittelindustrie. Kein Grund, der Attraktivität der Amerikaner entgegenzuwirken.

Dem peripheren Europa geht es hingegen gut. Innerhalb von zehn Jahren haben Griechenland, Italien, Portugal und Spanien die Strukturreformen durchgeführt, die ihnen heute die Stärke verleihen, den Wettbewerbszwängen standzuhalten, aber auch einige der großen Veränderungen zu bewältigen. Nur wird dieses periphere Europa auch weiterhin peripher bleiben. 

2) Abgesehen von der besonderen Situation in den einzelnen Ländern greift Mario Draghi die Unfähigkeit der Europäischen Union an, sich angesichts der Herausforderungen zu vereinen, und prangert leise die wiederkehrenden Fehler der Europäischen Zentralbank an, die seit der Covid-Krise bei der Steuerung der Zinssätze und der Geldpolitik systematisch zu spät gekommen ist.

Und das bekommen alle Wirtschaftskreise zu spüren, die bis heute eine schnellere Zinssenkung fordern und die Inflationsrisiken vor allem als importiert ansehen. Gleichzeitig kritisiert er aber auch die Unfähigkeit der Europäischen Union, Strukturreformen einzuleiten oder anzuregen. Er verweist dabei auf Deutschland und Frankreich, da Griechenland, Italien, Spanien und Portugal in den Peripherieländern in der Lage waren, dies zu tun.

Jean-Marc Sylvestre -- ATLANTICO

 

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