Lächerlich
Der türkische Regierungschef Binali Yildirim bezeichnete die Armenier-Resolution des Bundestags als “lächerlich”.
Aus deutscher Warte erscheint lächerlich, dass ein mutmasslich eingetragenes Mitglied der Moslem-Bruderschaft kritisiert, wenn ein mehrheitlich christlich gestimmtes Parlament einen vor einem Jahrhundert begangenen Völkermord an Christen als solchen bezeichnet.
Wie sollte ein Moslembruder denn anders sprechen, wenn er dem Auftrag seines Bundes folgen will? Ein dümmliches Ritual zwingt viele (aber erfreulicherweise nicht alle) Türken, gegen derartige Resolutionen zu protestieren, die in Abständen irgendwo in christlichen Ländern der Welt verabschiedet werden.
Jeder solche Protest ruft anti-türkische Gefühle hervor und hält die Erinnerung an den Genozid wach. Damit provoziert der türkische Protest nur weitere solche Resolutionen, Mahnaktionen und Erinnerungen.
Interessant wäre es, zu erfahren, wie die Gemeinschaft der Anhänger des Predigers Fethullah Gülen das Problem sieht.
Die Gülen-Zeitung Zaman France jedenfalls relativiert die Streitfrage, zitiert sogar den armenischen Staatschef Serge Sarkissian und deutsche Promoter der Resolution. Könnte es sein, dass die Gülenci die Resolution pragmatisch als nützlich erachten, weil sie beiträgt, das lädierte Ansehen der AKP-Regierung Präsident Recep Tayyip Erdogans im Ausland weiter zu verschlechtern?
Die breite Unterstützung, die die Resolution im deutschen Parteienspektrum geniesst, auch bei manchen Politikern mit Migrationshintergrund, könnte Gülen durchaus gefallen. Dass sein neuer Erzfeind Erdogan ihn und seine Gefolgsleute soeben zu “Terroristen” geadelt hat, bringt ihn der Legitimität und seine Bewegung “Hizmet” der möglichen Nachfolge der AKP-Partei an der Macht einen grossen Schritt näher. Gleichzeitig kann die Welt den Versuch Erdogans, einen religiösen Rivalen und seine Sekte international als "Terrorgruppe" ächten zu lassen, nur lächerlich finden.
Das sollte Yildirim vielleicht bedenken, bevor er das Wort “lächerlich” in den Mund nimmt.
--ed
Update
Der Bundestag hat mit großer Mehrheit für eine Resolution gestimmt, die das Massaker an den Armeniern 1915 deutlich als „Völkermord“ bezeicnet. Die Türkei hat daraufhin den deutschen Geschäftsträger ins Aussenministerium einbestellt und ihren Botschafter aus Berlin abgezogen. Droht Abbruch der diplomatischen Beziehungen oder ist das nur Theaterdonner?
Wie auch immer: seit Monaten gleichen die türkisch-deutschen Beziehungen einer Achterbahnfahrt. Merkels verzweifelter Versuch, mit Hilfe der Türkei den Zustrom von Flüchtlingen und anderen Migranten einzudämmen und zu kanalisieren, scheitert jeden Tag mehr.
Geschäfte machen mit einem nationalistischen, frömmelnden und unberechenbaren Autokraten ist ebenso schwierig wie der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. Ihm ist unbegreiflich*), dass Frau Merkel nicht dem Bundestag befehlen kann, dass sie die Presse nicht an die Leine legen kann. Mit 4 Millionen Türkischstämmigen sieht er sich als einen stakeholder der deutschen Politik, vergleicbbar im Rang etwa mit einem Landes-Ministerpräsidenten**). Dass in Berlin die Puppen nicht tanzen, wenn er auf den Tisch haut, ergrimmt ihn, weckt den Verdacht, dass seine Landsleute, ihr Nachwuchs und er mit ihnen diskriminiert werden.
Dass seine Landsleute in Deutschland das Geschehen bemerkenswert ruhig hinnehmen, sollte ihn lehren, dass sie als seine Fünfte Kolonne nur beschränkt taugen. Schlimmer noch, es könnte sein, dass sich unter ihnen alternative Ideen verbreiten, zum Beispiel erneut die eines gewissen Predigers in Pennsylvania.
Update II
*) "Er verstehe nicht, warum die CDU-Vorsitzende es nicht geschafft habe, ihre eigene Partei dazu zu bringen, gegen die Resolution zu stimmen, sagte Erdogan in einem am Samstag in mehreren türkischen Medien veröffentlichten Interview".
**) "Deutschland könne einen "wichtigen Freund" verlieren, und verwies ausdrücklich auf die Millionen türkischstämmigen Menschen" in Deutschland".
Turkish President Recep Tayyip Erdoğan has accused a “German ecole” of spearheading a conspiracy against Turkey that also involves the country’s media. "This ecole is pursuing some operations against Turkey." (Hürriyet Daily News)