Russengas oder LNG? Europa in der Zwickmühle


In Europa gibt es ein paar verbreitete Meme:
-- Wir kaufen kein russisches Gas mehr;
-- Wir sind froh, dass wir bisher ohne russisches Gas überlebt haben.

Beides ist nicht ganz richtig: Russisches Flüssigerdgas (LNG) kommt zum Beispiel nach Belgien und wird als „belgisches Gas“ verkauft.

Die LNG-Importe von russischem Gas stiegen im selben Jahr (2024) um 18 % (von 38 Mrd. m³ auf 45 Mrd. m³), was vor allem auf höhere Importe von Italien (+4 Mrd. m³), der Tschechischen Republik (+2 Mrd. m³) und Frankreich (+1,7 Mrd. m³) zurückzuführen ist. Die Einfuhren aus Russland nahmen in den ersten Monaten des Jahres 2025 weiter zu.
Ungarn und die Slowakei wehren sich gegen die Einstellung der Importe fossiler Brennstoffe aus Russland.
 

 

In jüngster Zeit haben sich jedoch die USA des Themas angenommen:

US-Präsident Donald Trump hat deutlich gemacht, dass er mit Russland Geschäfte machen und dessen riesige Rohstoffvorkommen anzapfen möchte. Die Wiederaufnahme der Nord-Stream-Gaspipeline ist jedoch das einzige amerikanisch-russische Geschäftsprojekt, das nach dem Ende der Kämpfe in der Ukraine machbar erscheint:

Ein erstaunliches Projekt:
1. Europa wird nicht gefragt, ob es wieder russisches Gas kaufen will
2. Ein Waffenstillstand in der Ukraine ist in weiter Ferne; keine der beiden gegnerischen Parteien will ihn wirklich;
3. Die Nordstream-Pipeline ist angeblich irreparabel kaputt.
 
Zwei der drei Nordstream-Pipelines sind kaputt, eine dritte ist voll mit Gas und kann jederzeit in Betrieb genommen werden, um den angeblichen Bedarf  Europas wenigstens teilweise zu decken.

Die Wiederinbetriebnahme des restlichen Gasstroms ist nur eine Frage des Umlegens eines Schalters, aber die anderen drei Stränge der Nordstream 1 & 2-Pipelines könnten relativ einfach repariert werden: Lynch schätzt, dass dies weniger als 700 Millionen Dollar kosten würde. Die Zwillingspipelines würden Europa dann mit 100 Mrd. Kubikmetern pro Jahr versorgen und den europäischen Gasbedarf zusammen mit der TurkStream im Süden decken, die Russland und die Türkei miteinander verbindet und 15 Mrd. Kubikmeter über Bulgarien und Serbien nach Ungarn transportiert.
 
Fabelhaft! Und wie sollte das funktionieren?
 
Der US-Investor und Russland-Kenner Stephen Lynch hat bereits eine Genehmigung für die Übernahme der (Nordstream-) Pipeline beantragt, die derzeit Deutschland gehört.  
 
Wunderbar! Ein amerikanischer Finanzier, ein Bewunderer von Präsident Trump, beliefert Deutschland und Europa wieder mit russischem Gas!
 
Lynch hat bereits einen Antrag auf Aussetzung der Sanktionen gegen die Pipeline gestellt, um das Geschäft voranzutreiben, der aber offenbar noch nicht genehmigt wurde. Als langjähriger Spender für die Republikanische Partei rechnet Lynch wahrscheinlich mit einem wohlwollenden Empfang durch Trump.
 
Der Plan von Lynch hätte mehrere Konsequenzen:
1. Billiges russisches Gas würde amerikanisches LNG aus dem europäischen Markt verdrängen
2. Russisches Gas würde an der Ukraine vorbeigeleitet. Um die Ukraine ins Boot zu holen und sie für den Verlust der Transitgebühren zu entschädigen, will Lynch Kiew eine Art Trinkgeld anbieten. Wird das funktionieren? Wahrscheinlicher erscheint uns, dass „unbekannte“ ukrainische Taucher wieder einmal Pipelines in der Ostsee sprengen werden.
Sollte das Projekt doch realisiert werden und sollten die Europäer das Gas tatsächlich kaufen wollen, befände sich Europa in einem Dilemma:
-- einerseits abhängig von Russland, das jederzeit den Gashahn zudrehen kann, und
-- andererseits abhängig von Amerika, das Europa mit seinen Pipelines erpressen und Zugeständnisse jeglicher Art verlangen kann.
Also kein russisches Gas?
So einfach ist das nicht. Denn es gibt massive Interessen in Europa (Zement, Chemie, Hochöfen), die Druck auf Brüssel und die Hauptstädte ausüben können. Und was noch?
Ach ja, die lahmende europäische Wirtschaft leidet unter den hohen Energiekosten. Billiges Gas würde das Wachstum wieder ankurbeln, die Steuereinnahmen und den öffentlichen Wohlstand steigern und die Regierungen glücklich machen. Wer kann solchen Verlockungen widerstehen?
Heinrich von Loesch
 
 
Kommentar: Für die Umwelt wäre Russengas aus der Pipeline statt LNG ein Gewinn. Pourvu que ça dure!
 
 
Die Europäische Kommission wird im nächsten Monat eine detailliertere Strategie für den Ausstieg aus russischen Öl- und Gasimporten bekannt geben, wie sie am Montag mitteilte, nachdem sie den Plan zweimal verschoben hatte.

Die EU hat sich als Reaktion auf Moskaus Invasion in der Ukraine 2022 verpflichtet, bis 2027 auf russische fossile Brennstoffe zu verzichten, aber die Kommission hat die Veröffentlichung ihres „Fahrplans“ für die Umsetzung dieses Ziels verschoben. Der Plan sollte ursprünglich letzten Monat veröffentlicht werden.

Update II

Die Europäische Kommission könnte Unternehmen die Erklärung höherer Gewalt gestatten, um die EU bis 2027 von russischen fossilen Brennstoffen zu befreien;  Höhere Gewalt, die die Importeure von ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Strafgebühren für die Beendigung von Verträgen befreit.

Die Chefs der EU haben 2022 versprochen, die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas zu beenden, da sie befürchten, dass mit diesen Einnahmen der Krieg Russlands gegen die Ukraine finanziert wird.

Führungskräfte der Energiebranche sprechen jedoch offen über die Wiederaufnahme russischer Gasimporte. „Wenn es einen vernünftigen Frieden in der Ukraine gibt, könnten wir wieder 60, vielleicht 70 Milliarden Kubikmeter pro Jahr importieren, einschließlich LNG“, sagte Didier Holleaux, Vizepräsident des französischen Energiekonzerns Engie, in einem Interview mit Reuters. Die französische Regierung ist teilweise Eigentümerin von Engie, das früher zu den größten Abnehmern von Gazprom-Gas gehörte.

In Deutschland sind Unternehmen angeblich auch an einer Wiederaufnahme der russischen Gasimporte interessiert, die früher 55 % der Versorgung bestritten und den Fabriken zu wettbewerbsfähigen Preisen verhalfen. „Die Wiedereröffnung der Pipelines würde die Preise stärker senken als alle derzeitigen Subventionsprogramme“, sagte Christof Guenther, der Geschäftsführer des Chemieparks InfraLeuna, in dem Dow Chemical und Shell ansässig sind, gegenüber Reuters. Er fügte hinzu, dass viele Kollegen sich einig seien, dass man zu russischem Gas zurückkehren müsse, aber es sei ein "Tabuthema“.

 

Update III

Jegliche Diskussion über eine Wiederaufnahme der Energiebeziehungen mit Russland sei „illusorisch“, sagte der oberste belgische Energiebeamte und wandte sich damit gegen den wachsenden Chor von Stimmen in Europa, die eine Wiederaufnahme der Importe aus Moskau fordern.

„Es ist illusorisch zu glauben, dass wir von einem Tag auf den anderen wieder zur Tagesordnung übergehen und so tun, als sei nichts geschehen“, sagte der belgische Energieminister Mathieu Bihet gegenüber POLITICO.

 

 

 

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