Von Hitler zu Putin: von Rassen zu Russen
Adolf Hitler hatte als junger Mann in Wien die Lehren der Rassentheoretiker (Gobineau & Co.) kennen gelernt und war bald von ihnen besessen. Die Nordische Rasse (er selbst, schlank) und die Fälische Rasse (Bismarck, beleibt) waren nach diesen kruden Theorien dazu bestimmt, die Welt zu erobern und zu beherrschen.
Das Problem: Selbst nach dem "Anschluss" Österreichs und weiteren Übernahmen war das Deutsche Reich mit rund 100 Millionen Untertanen keine echte Weltmacht.
Es wurden also mehr Nordische und Fälische gebraucht. Aber wo sollte man sie finden? Im Osten! Also wurden Hitlers Armeen mit rassegeschulten Politruks versehen, deren Aufgabe es war, "rassisch wertvolles Menschenmaterial" zu identifizieren, das "aufgenordet" oder eingedeutscht werden konnte. ("Volksdeutsche") Man war überzeugt, dass die Aufzunordenden sich der enormen Ehre bewusst sein würden und die Germanisierung nicht verweigern würden oder könnten. (Bis vor kurzem betrieb Deutschland weiter die Praxis der Eindeutschung: "Spätheimkehrer")
Was hat dieser Unsinn heute mit Putin zu tun?
Leider sehr viel.
1989 zerbrach die Sowjetunion und entließ knapp 150 Millionen Russen in eine Demokratie, mit der sie wenig anfangen konnten. Die Demokratie war keine Staatsform, für die man sich begeisterte. Das Vakuum an Ideen musste gefüllt werden. Der junge Wladimir Putin hatte einen Vorschlag: Russland. Russland, seine Kultur, seine Sprache, seine Religion und seine Geschichte sollten an die Stelle der verdunsteten Klassenherrschaft, des Sozialismus und der Völkerfreundschaft treten. Anstelle von Marx und Lenin die alten Zaren.
Die Zaren bekannten sich zur Orthodoxie und identifizierten sich, auch wenn sie keine gebürtigen Russen waren, mit den Russen. Andererseits waren die Russen in diesem Reich weniger frei und wohlhabend als andere Völker. Im autokratischen Zarenstaat hatten sie als ethnische Gemeinschaft keine politische Macht. Die Russen kompensierten die fehlenden Rechte und die relative Armut mit einer symbolischen Zugehörigkeit zum Glanz und zur Macht des Reiches. Dies beeinträchtigte die Herausbildung eines russischen nationalen Selbstverständnisses und führte zu einer spezifischen reaktionären Ausprägung des russischen Nationalismus.
Dies war Putins genialer Schachzug, den Russen die symbolische Zugehörigkeit zum Glanz und zur Macht des Reiches (in diesem Fall nicht des Zarenreiches, sondern der UdSSR) durch einen wiederbelebten russischen Nationalismus zu suggerieren, der vor allem die Rechtlosigkeit (drastische Verbote\) und die relative Armut (aufgrund von Sanktionen) kompensiert.
Dass das russische Volk den Ukraine-Krieg ohne Murren hinnimmt, liegt vor allem an der spezifisch reaktionären Ausprägung des russischen Nationalismus.
Putin war also nicht der Erfinder des (viel älteren) russischen Nationalismus, sondern der geschickte Wiedererwecker. Ursprünglich als Lückenfüller nach 1989 gedacht, entwickelte der neue Nationalismus ein überraschendes Eigenleben, dessen erstes Opfer die Sowjetunion war.
Die neue "Putin-Union" würde keineswegs eine Kopie der alten Sowjetunion sein. Die alte Sowjetunion war eine föderale Struktur aus einzelnen Sowjetrepubliken mit begrenzter Autonomie. Die Putin-Union hingegen würde die Unabhängigkeit der annektierten Republiken (Weißrussland, Ukraine, Luhansk, Donezk) zugunsten einer strengen Russifizierung aufheben. Damit wäre Putin der endgültige Totengräber der Sowjetunion.
Wie Hitler in Deutschland in den 1930er Jahren entdeckte Putin in seinem Russland ein demografisches Problem. Das Land war zwar geografisch das größte der Welt, aber mit seinen 146 Millionen Einwohnern keine echte Weltmacht. Schlimmer noch, niedrige Geburtenraten und höhere Sterberaten lassen die Bevölkerung weiter schrumpfen. Der endemische Alkoholismus und COVID 19 zeigen Wirkung.
In seiner Rede in Davos attestierte der deutsche Bundeskanzler Scholz dem russischen Machthaber Putin ein imperialistisches Streben nach Landgewinn. Das ist richtig. Aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. Noch wichtiger ist das Streben nach menschlichem Gewinn.
Putin ist zweifelsohne vom demografischen Problem besessen. Was die Rassen für Hitler waren, sind die Russen für Putin - die zentrale Idee ihres Lebens.
Hitlers Streben nach rassischer Vorherrschaft verlangte die Unterwerfung und/oder Vernichtung von allem, was einer anderen Rasse angehörte - Putins Russenvergötterung und Weltmachtstreben verlangen die Vernichtung von allem, was sich widersetzt. Im konkreten Fall der Ukraine.
Niedrige Geburtenrate, steigende Sterblichkeit, Rückgang der Zuwanderung.... Trotz einer Geburtenpolitik, die zu den natalistischsten der Welt gehört, entleert sich Russland allmählich von seinen Einwohnern. "Ein großes Problem für Wladimir Putin, für den Bevölkerung gleichbedeutend mit Macht ist", sagt der französische Demograf Laurent Chalard.
1991, am Ende der Sowjetunion, zählte Russland 148,2 Millionen Einwohner. Seit dem 24. Februar hat sich der Exodus beschleunigt. Laut der amtlichen Statistik ROSSTAT lag die Bevölkerung im Jahr 2021 bei 146,1 Millionen. Bis 2050 erwarten die Demografen einen Rückgang auf 130-140 Millionen.
COVID 19 hat nicht nur die Sterblichkeit erhöht, sondern auch die Zuwanderung aus dem russischsprachigen Asien zum Stillstand gebracht. . Seit dem 24. Februar hat sich die Abwanderung beschleunigt, insbesondere von jungen und hochqualifizierten Russen.
"Putin ist besessen von dieser demografischen Frage", sagt Laurent Chalard. "In seiner Vorstellung verknüpft er die Macht eines Landes mit der Größe seiner Bevölkerung. Je größer sie ist, desto mächtiger ist der Staat."Heute ist die demografische Situation in Russland jedoch schlechter denn je.
Deshalb, so Chalard, hat Putin in der Ukraine nur eine Wahl: Er muss gewinnen.
So wie Hitlers Leute Europa nach Bevölkerungsgruppen durchsuchten, die absorbiert werden konnten, sucht Putin weit und breit nach Bevölkerungsgruppen, die russifiziert werden können. Wie in Hitlers Tagen sollen sich die Opfer der Russifizierung geehrt fühlen und glücklich sein, die russische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Die Ukraine bietet Putin die größte demografische Beute. Nicht nur, dass etwa ein Drittel der Ukrainer von Geburt her russischsprachig ist, auch die anderen zwei Drittel tragen einige Jahrhunderte der Nachbarschaft mit Russland in ihrer geistigen DNA.
Darauf baut Putin . Er will 42 Millionen Ukrainer zu Russen machen. Zu diesem Zweck folgt das Besatzungsregime in den von Russland eroberten Gebieten buchstabengetreu den Empfehlungen des Ideologen Timofey Sergeytsev, nachzulesen in Die Ukraine vernichten: Moskaus Plan
Dreißig Jahre lang soll der Prozess der Ent-Ukrainisierung und Russifizierung mit Methoden andauern, die der Verfolgung der Uiguren in China in nichts nachstehen. Am Ende soll sogar der Begriff Ukraine verschwinden und wohl durch "Neurussland" ersetzt werden.
Nicht nur Russland, sondern auch die Ukraine hat ein demograpfisches Problem. Die seit langem anhaltende Schrumpfung der Bevölkerung wird durch den Krieg extrem beschleunigt: 6,5 Millionen Ukrainer sind bisher ins Ausland geflohen, und viele von ihnen -- vor allem diejenigen, die in die EU gekommen sind -- denken offenbar daran, zu bleiben. Das ist auch ein Problem für Putin: Millionen weniger potenziell russifizierbare.
Alles in allem eine Tragödie ohnegleichen: Ohne Putins Größenwahn und Russofanatismus könnten Russland und die Ukraine freundschaftlich nebeneinander leben, wie zum Beispiel die USA und Kanada.
Weit über 200.000 Kinder nach Russland gebracht
Der ukrainische Präsident erinnert an das Schicksal der Kinder im Krieg. Fast 700 Kinder bereits verletzt oder getötet worden.