Nach der Ukraine Taiwan?

 

Der Krieg in der Ukraine hat uns gelehrt, dass das Undenkbare die fatale Eigenschaft hat, gelegentlich wahr zu werden. Oder umgekehrt, dass Diktatoren nie berechenbar sind, vor allem wenn sie lautstark Gebietsansprüche erheben.

Der Krieg in der Ukraine hat zusammen mit den anderen territorialen Ansprüchen Russlands in Europa die Aufmerksamkeit auf Chinas Bestreben gelenkt, den Inselstaat Taiwan (Formosa) zu erobern. Diese Gebietsansprüche sind so laut und so nachhaltig, dass wir leider gezwungen ist, damit zu rechnen, dass das "Undenkbare" jederzeit "eintreten" kann. So wie nach COVID 19 jederzeit eine neue virale Pandemie die Welt erschüttern kann, muss man sich darüber im Klaren sein, dass auf den Ukraine-Krieg jederzeit ein Taiwan-Krieg folgen kann.

Das Szenario der Ukraine zeigt, dass wir keine Vorwarnung erwarten sollten. Xi Jinping wird, wie Putin es ihn gelehrt hat, die Invasionsabsicht bis zur letzten Sekunde leugnen. Weniger wahrscheinlich ist, dass Xi den Fehler Putins wiederholen wird, sein eigenes Militär bis zur letzten Sekunde in Unkenntnis zu halten. Tatsache ist, dass China seit Monaten so starke Kräfte an der Küste gegenüber Taiwan konzentriert hat, dass manche Experten einen Invasionsversuch auf der Insel jederzeit für möglich halten. Andere Beobachter sind jedoch der Meinung, dass China bislang nicht die Mittel für eine grosse amphibische Operation besitze, während Taiwan bis an die Zähne gerüstet sei.

Es hat keinen Sinn, jetzt über die Absichten und die Aufrichtigkeit von Xi zu spekulieren. Die Bedrohung ist da, und die Welt muss mit ihr rechnen. Die Frage ist also: Was wird passieren, wenn China Taiwan angreift?

Wird es einen weltweiten Aufschrei geben wie am Tag von Russlands Eiermarsch in die Ukraine? Wird die Vollversammlung der Vereinten Nationen eine überwältigende Solidarität mit den Angegriffenen zeigen?

Die Antwort lautet nein. Empörung ja, Aufschrei in den Medien vielleicht. Solidarität mit Taiwan in der Vollversammlung?  Teilweise vielleicht. Denn im Gegensatz zur Ukraine ist Taiwan kein Mitglied der Vereinten Nationen (mehr). Ein feiner aber wichtiger Unterschied.

Russland wurde in der Vollversammlung verurteilt, weil es im Vergleich zu China ein kleiner Fisch ist.

Russland mag zwar die stärkste Atommacht der Welt und die zweitstärkste Militärmacht sein, aber wirtschaftlich liegt es auf Platz 11 hinter Südkorea und knapp vor Brasilien, Australien und Spanien.  Das Bruttoinlandsprodukt Russlands ist nur ein Zehntel so groß wie das Chinas.

Es liegt auf der Hand, dass viele Länder, die von China abhängig sind, es sich zweimal überlegen würden, gegen China zu stimmen. Afrikanische und asiatische Länder, die bei China hoch verschuldet sind, sowie europäische Partner der Neuen Seidenstraße wie Griechenland und Italien werden nur widerwillig für Taiwan stimmen. Die Rache des Drachens wäre erbarmungslos.

Wo der moralische Rückenwind der Vollversammlung fehlt oder schwach ist, wird es dem "Westen" überlassen bleiben, China durch Sanktionen zur Vernunft zu bringen, wie es im Ukraine-Krieg mit einigem Erfolg geschieht. Im Fall von Taiwan wird es also eine Neuauflage der Sanktionen geben.

China zu sanktionieren ist aus vielen Gründen schwieriger als im Falle Russlands. China ist weit weniger importabhängig und hat unter Xi die Importsubstitution durch einheimische Produktion massiv gefördert - offenkundig im Hinblick auf die geplante Tainwn-Invasion und eine daraus resultierende westliche Wirtschaftsblockade.

Hortende Panikkäufer und leere Supermarktregale wird man in China nicht so leicht sehen. Zudem ist die Überwachung der Bürger in China inzwischen so ausgefeilt, dass Hortungskäufe und anderes sozialschädliches Verhalten so gut wie unmöglich erscheinen.

Aber sind Sanktionen wie im Falle Russlands überhaupt denkbar?  Das Volumen "russischer" Sanktionen gegen China wäre exorbitant. Für viele Länder ist China einer der wichtigsten Handelspartner, wenn nicht sogar (wie im Falle Deutschlands) der wichtigste überhaupt. "Russische" Sanktionen gegen China würden beide Seiten tief treffen und in vielen Branchen im "Westen" ebenso wie in China zu leeren Regalen führen.

So weit, so schlecht. Was ist mit dem Rückzug westlicher Unternehmen aus China?  Werden Ikea, Volkswagen und Starbucks bereit sein, sich aus China zurückzuziehen?  Ihre Fabriken, ihre Läden und Espressobars zu schließen und sich möglicherweise zu verabschieden?

Würden die Unternehmen den Verlust ihres wichtigsten Marktes überleben? Und wie würden andere Unternehmen, die die Sanktionen ignorieren oder umgehen und in China bleiben, dies der Welt erklären? Würden sie von staatlichen Unterstützungsaktionen ausgeschlossen werden?

Brisante Fragen.

Fragen, die jetzt beantwortet werden müssen, wenn wir nicht von chinesischen Landungsbooten und Luftlandetruppen überrascht werden wollen. Fragen, die überall in der EU gestellt und beantwortet werden müssen. 

Darüber muss jetzt EU-weit nachgedacht werden, in Abstimmung mit den Partnern, vor allem den USA. Ist schon die derzeitige europäische Planung eines Verzichts auf russische Lieferungen von fossiler Energie und industriellen Rohstoffen sehr kompliziert und schwierig, so kann ein Verzicht auf chinesische Produkte die Wirtschaft und Lebensweise Europas ins Herz treffen. Hier ist die Kommission in Brüssel gefordert, den Mitgliedern ein überzeugendes Konzept vorzulegen.

Hingegen: Gut vorbereitete und glaubwürdige westliche (oder internationale) Sanktionen sind das beste Abschreckungsmittel für Chinas imperialistische Expansionsgelüste.

Im Falle Taiwans hat es keinen Sinn, auf ein Wunder wie in der Ukraine zu warten. Gemessen an der Bevölkerungszahl ist die Ukraine ein Drittel so groß wie Russland; Chinas Bevölkerung hingegen ist 64 mal so groß wie die Taiwans. Weder Heldenmut noch Insellage würden helfen.

Heinrich von Loesch

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