Schlimmer als Assad? Erdogans syrisches Abenteuer
Sie waren Freunde. Fast. Seit Syrien 1998 aufhörte, die kurdische Kampftruppe PKK zu unterstützen, Das laizistische Assad-Regime in Damaskus und Erdogans islamistische Regierungspartei AKP in Ankara freundeten sich an. 2009 gewährte man sich gegenseitig Visafreiheit; die Parlamente tagten sogar gemeinsam im Beisein des jeweils halben Kabinetts.
Dann kamen 2011 die ersten Unruhen in Syrien. Ankara versuchte, zu beruhigen, drängte Assad zu Reformen und Milde im Umgang mit den Protestierern. Ohne Erfolg.
Dann bot Erdogan den verfolgten Rebellen, meistens Sunniten, Unterschlupf. Bis Ende 2013 konnten sie unkontrolliert einreisen. Niemand zählte sie, niemand befragte sie.
Assad witterte eine Falle. Er bot Ende 2011 wiederholt an, die Flüchtlinge in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen zurückzunehmen, ihnen totale Amnestie zu gewähren und ihnen sogar die Kosten der Heimkehr und Unterbringung zu erstatten. Damaskus bereute angeblich, im Umgang mit den Protestierern “Fehler” gemacht zu haben.
Vergeblich. Zu spät. Erdogan und seine islamistische Truppe hatten inzwischen die enorme Chance erkannt, das säkulare Baath-Regime in Damaskus durch ein islamistisches, Türkei-höriges, zu ersetzen. Regime change war von nun an das Leitmotiv.
Ankara verfolgte eine Doppelstrategie: zum einen errichtete man relativ luxuriöse Auffanglager, später ganze Zeltstädte für die Syrer, um so viele wie möglich in die Türkei zu locken. Zum anderen förderte und bewaffnete man jede Form von Widerstandsgruppe oder Miliz gegen Assad und bezeichnete sie als Flüchtlinge. Nicht nur die geflohenen Syrer, sondern auch die AKP-Regierung glaubten damals, in wenigen Monaten würde Assad das Schicksal von Ghaddafi und Mubarak teilen.
Doch der revolutionäre Elan reichte nicht aus. Assad wankte, aber er fiel nicht. Widerstandsgruppen, auch radikale, durften die Türkei heimlich als Unterschlupf und Versorgungsweg benutzen und in den von der Öffentlichkeit abgeschirmten Flüchtlingslagern missionieren und rekrutieren.
Ankara verstrickte sich zunehmend in ein Netz von Lügen und Widersprüchen. Offiziell distanzierte es sich von den radikalsten Gruppen, die den syrischen Widerstand von innen aushöhlten und alle nicht-islamistischen Gruppen unterdrückten. In Wirklichkeit aber wurden Al-Nusra und der spätere Islamische Staat von der AKP-Regierung unterstützt und wohl auch finanziert, in der verzweifelten Hoffnung, dass ihnen gelingen möge, was den weniger radikalen Gruppen versagt blieb: der Sieg über Assad.
Doch Assad spielte nicht die ihm zugedachte Rolle des Opfers. Er schloss eine heimliche Allianz mit dem Islamischen Staat gegen alle anderen Gruppen und kaufte ihm Erdöl ab. Das half zwar dem IS, ein Drittel Syriens einzunehmen, gab aber Assad Luft zum Atmen. Eine Zeitlang wurde der IS kurioserweise sowohl von Ankara wie von Damaskus unterstützt.
Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Flüchtlinge. erreichten die Türkei. Noch immer freute sich Ankara über die Ankunft der Hunderttausende in der Annahme, dass die humanitäre Katastrophe den Westen und seine NATO zwingen würde, einzuschreiten und Assad nach libyschem Muster zu beseitigen. Doch nichts geschah. Obama der Zauderer vergass die von ihm selbst verkündete Rote Linie, als sie von Assad überschritten wurde. "Was die Türkei betrifft. setzte der US-Präsident Hoffnungen in Präsident Recep Tayyip Erdogan, doch kam er seither zu der Ansicht, dass Erdogan ein autoritärer Herrscher ist, dessen Strategien misslungen sind.". Die Europäer waren wenig stolz auf das in Libyen angerichtete Chaos und überliessen Syrien daher seinem Schicksal.
So entwickelte sich Erdogans Syrien-Abenteuer zunehmend zum Desaster. Angeblich zwischen 2,3 und 3,5 Millionen Syrer – je nach Schätzung – hatte die Türkei inzwischen aufgenommen und entdeckte, dass dies nicht nur eine finanzielle und humanitäre, sondern auch eine psychologische und politische Belastung darstellte.
Zu allem Übel mischten sich nun noch die Russen ein, bauten Assad wieder auf und bombten die Türken in ihrem turkmenischen Protektorat entlang der Grenze in der syrischen Provinz Latakia. Der türkische Abschuss eines russischen Jets schreckte die Russen nicht ab: im Gegenteil: sie konterkarieren nun die Türken und bestrafen die Turkmenen, wo sie nur können.
Die türkische Regierung könnte viel tun, um Syrien Frieden zu bringen. Abdullah Bozkurt, ein angesehener (und kürzlich entlassener) Kommentator, sagt: "Ankara sollte seine Einmischung in Syrien beenden, den Srom von Geld und Waffen für die Rebellen stoppen und dazu beitragen, dass eine politische Lösung gefunden wird, die Syriens territoriale Integrität wahrt."
In seiner Verzweiflung ob des Misserfolgs brauchte Erdogan eine neue Strategie, und die Millionen Flüchtlinge sollten ihm dabei helfen. Die neue Zielrichtung hiess Europa.
Jahrelang hatte die türkische Regierung die Flüchtlinge daran gehindert, die Türkei zu verlassen. Sie brauchte sie ja als Pfand, um der Welt zu beweisen, dass Assad ein Monster ist, das eliminiert werden muss; ausserdem klammerten sich damals viele Syrer immer noch an die Hoffnung auf Rückkehr.
Als diese Hoffnung zunehmend schwand und Ankara die syrischen Felle davon schwammen, zeigte sich gleichzeitig in Europa eine gewisse Nervosität und Besorgnis über die steigenden Zahlen von Flüchtlingen und Migranten aller Art. Niemand dachte dabei an die Türkei: die Migranten kamen vorwiegend aus Libyen, Tunesien und Ägypten übers Meer. Italien war die Schneise, durch die die Fremden einströmten.
Ankara beobachtete interessiert, wie hilflos Italien und Europa reagierten. Vielleicht war das ja eine Möglichkeit, die angesichts des Syrien-Debakels nutzlos gewordenen Flüchtlinge doch noch sinnvoll einzusetzen.
Warum den Umweg über das nunmehr Islamisten-feindliche Ägypten und das chaotische Libyen nehmen, wenn Griechenland so nahe liegt? Gedacht, getan. Ohne viel Ermunterung entstand eine Schleuserindustrie. Es reichte, dass die Hafenbehörden und die lokale Polizei den Wink bekamen, sich zurück zu halten.
Das Ergebnis ist bekannt. Europa unter Führung von Frau Merkel bittet in Ankara um Hilfe, deren Gewährung trotz des Versprechens grosser Geschenke ungewiss bleibt.
Europa muss sich fragen, was schief gelaufen ist. Warum muss Europa jetzt die Misserfolge der türkischen Syrien-Politik ausbaden?
Europa wurde das Opfer der Fehlschläge der osmanischen Politik Erdogans. “Erdogan, wie die Osmanen vor ihm, sieht die Türkei als die Speerspitze der sunnitischen Moslems vom Kaukasus bis zum Mittleren Osten und Nordafrika. Die türkische Dominanz über den sunnitischen Islam wieder zu errichten, ist das Rückgrat seiner Aussenpolitik,” sagt Mehmet O. Alkan, Professor fuer Politische Geschichte an der Uni Istanbul.
Nicht nur in Syrien konnte kein Regime der Moslem-Brüder errichtet werden. In Ägypten endete die Hybris der Brüder mit einer Katastrophe für sie. Im Irak stehen die Sunniten des Islamischen Staats vergeblich vor Bagdad. In Gaza fördert Erdogan die Hamas, ohne Erfolg, In Libyen unterstützt Erdogan zwar mit Macht die Teil-Regierung der Brüder in Tripolis, jedoch ohne Aussicht, den Osten des Landes dazu zu gewinnen. Im Gegenteil, der Westen steht wieder kurz vor einer Intervention, die das Ende der Moslembrüder in Tripolis bedeuten könnte.
Nachdem sein Traum vom osmanischen Kalifat vorerst in Trümmern liegt, blickt Erdogan nach Europa. Da sieht er Deutschland, mit seinen nunmehr fast fünf Millionen Moslems – meist Türken und türkisch-Stämmigen – ein im religiösen Sinne vielversprechendes Entwicklungsland, das er gerne besucht und wo seine treueste Klientel lebt. Noch ein, zwei Millionen Migranten – zu 85 Prozent üblicherweise Moslems und vorwiegend Sunniten – würden aus einem religiösen Entwicklungs- vielleicht ein Schwellenland machen.
So angenehm dieser Gedanke für Erdogan sein mag, so konkurriert mit ihm ein anderer Wunsch, nämlich der nach Geld (bitte ohne Zweckbindung und Kontrolle) und Anerkennung. Die geplante Abschaffung des Visumzwangs wäre ein grosser Gewinn, zumal es dann Erdogans Regierung frei stünde, durch Erhöhung des Drucks auf Kurden, Alevis, Oppositionelle, Gülenci, Dschihadisten und andere interne "Feinde" den Strom von Flüchtlingen nach Europa zu steigern.
Das Fernziel der Aufnahme der Türkei in die EU ist – Flüchtlinge hin, Migranten her – nicht näher gerückt. Kein Land Europas wünscht sich fast 80 Millionen Türken mit einer präpotenten islamistischen Regierung in der EU, die mit Deutschland als Führungsmacht konkurriert und Brüssel aufmischt. Wenn schon ein vorwiegend asiatisches Land (und derzeit entfernt sich die Türkei im Wochentakt weiter von Europa) für EU-Mitgliedschaft qualifiziert wäre, dann ist es Israel, nicht die Türkei.
Will man ein Fazit der Entwicklung ziehen, so kann es nur heissen: die Türkei ist nicht Teil der Lösung, sondern des Problems. Wer glaubt, mit den Islamisten in Ankara sprechen zu können, wird sich bestenfalls Enttäuschungen einhandeln und schlimmstenfalls eine blutige Nase holen.
Es gibt Beobachter, die meinen, Erdogan sei schlimmer als Assad. Sicherlich hat sich der syrische Diktator – der Feingeist, Mediziner und Frauenschwarm – gleichberechtigt in die Garde der grossen Schlächter und Sadisten des Nahen Ostens eingereiht – Saddam Hussein, Omar al-Bashir und Muammar Ghaddafi – doch er hegt keine imperialen Pläne. Er hat sich wie schon sein Vater nolens volens mit Israel arrangiert, er bot hunderttausenden irakischen Flüchtlingen Unterschlupf, als in ihrer Heimat Krieg tobte. Er interveniert nicht in anderen Ländern (ausser dem Libanon, den kein Syrer als Ausland ansieht) und strebt nirgendwo nach regime change.
Vielleicht ist Assad trotz seiner monströsen Verbrechen weniger gefährlich als Erdogan.
Heinrich von Loesch
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