Im Falle eines Angriffs: wie schützt man die Bevölkerung?
Der Krieg in der Ukraine hat Europa aufgeschreckt. Was würde passieren, wenn sich die Russen nach dem Ende des Konflikts an Europa für die Ukrainehilfe rächen und weitere Länder erobern wollten?
Europäische Staaten haben unterschiedliche Konzepte für den Zivilschutz im Kriegsfall entwickelt oder bereits umgesetzt. Allen voran die baltischen Staaten und die nordischen Länder. Aber auch Großbritannien und Deutschland sind gefragt. Hier ein Vergleich.
Deutschland
Zunächst gibt es auf Bundesebene ein in Bonn angesiedeltes Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, das auf Anfrage folgendes mitteilt:
Der Bund ist für das Konzept und die Rahmenplanung von öffentlichen Schutzräumen zuständig. Die konkrete Umsetzung und Unterhaltung obliegen den Ländern bzw. Gemeinden.
Kommentar: In dem Bundesamt werden erst mal „Konzepte entwickelt“ (mit anderen Worten: es wird Papier beschriftet). Doch es geschieht mehr:
Derzeit erarbeitet eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein neues Schutzraumkonzept. Bund und Länder haben sich in der 221. Sitzung der Innenministerkonferenz auf wesentliche Grundelemente eines nationalen Schutzraumkonzeptes verständigt. Grundlage dieses Konzeptes bildet der von BMI, BImA und BBK erstellte Sachstandsbericht zur Entwicklung eines bedarfsgerechten und effizienten Schutzraumkonzeptes.
Praktisch gesehen gibt es in Deutschland keine brauchbaren Schutzräume mehr. Die Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg sind verrottet, gesprengt oder für den Champignonanbau umfunktioniert. Man sollte meinen, dass jetzt eilig neue Bunker gebaut/eingerichtet werden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vorab erst mal:
Entwicklung eines bedarfsgerechten und effizienten Schutzraumkonzept(s)
Tja, deutsche Gründlichkeit:
Bund und Länder haben sich in der 221. Sitzung der Innenministerkonferenz auf wesentliche Grundelemente eines nationalen Schutzraumkonzeptes verständigt. Grundlage dieses Konzeptes bildet der von BMI, BImA und BBK erstellte Sachstandsbericht zur Entwicklung eines bedarfsgerechten und effizienten Schutzraumkonzeptes. Die weitere Ausgestaltung findet aktuell unter Beteiligung des BMI, des BMVg und aller Länder in einer gemeinsamen Unterarbeitsgruppe (UAG) der Bund-Länder-offenen Arbeitsgruppe zivil-militärische Zusammenarbeit/Zivile Verteidigung statt.
Alles klar? Wir bekommen die schönsten und besten Schutzräume aller Zeiten und Länder, aber wann?
Die folgenden Eckpunkte werden derzeit gemeinsam mit den Ländern weiterentwickelt und umgesetzt:
1. Eine systematische Erfassung von öffentlichen Gebäuden und privaten Immobilien, die als öffentliche Zufluchtsorte genutzt werden können. Das können u.a. Tiefgaragen, U-Bahnhöfe und Kellerräume sein.
2. Ein auf diesen Daten aufbauendes digitales Verzeichnis, das es Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, über Warn- und Kartendienste die für sie nächstgelegenen Schutzorte über das Handy zu ermitteln.
3. Handlungsempfehlungen zur niedrigschwelligen Herrichtung schutzbietender Räume in privaten Kellerräumen.
4. Informationsprodukte zu Schutzmöglichkeiten.
Informationsprodukte? Bereits im November 2014 hat Schweden eine Broschüre an alle Haushalte verschickt, in der erklärt wird, wie man sich im Falle eines Krieges verhalten solle. Deutschland?
In die oben dargestellte Erarbeitung fließen neben Experten-Stimmen auch Erfahrungen aus dem Ausland, wie zum Beispiel der Ukraine, ein. So wurde deutlich, dass es im Einzelfall notwendig sein kann, dass sich Bürgerinnen und Bürger über mehrere Stunden hinweg in öffentlichen Zufluchtsorten aufhalten müssen.
"im Einzelfall notwendig..." Im II. Weltkrieg war das der Standardfall, und in Kiew sitzen die Leute derzeit nächtelang in Kellern und U-Bahnschächten.
Konzepte, die beinhalten, welche Ausstattung in diesen Zufluchtsorten vorhanden sein sollte. Konkret geht es um einfache, mobile Ausstattungen wie Feldbetten, mobile sanitäre Anlagen sowie die Bereitstellung von Wasser und Lebensmitteln, die einen Aufenthalt in den Zufluchtsorten auch über mehrere Stunden hinaus ermöglichen sollen. ..
"mögliche App-Lösungen" -- ein guterTeil der Bevölkerung besitzt kein Smartphone.
Abgesehen von diesen Problemen zeigt das deutsche Konzept im Vergleich zum britischen Vorgehen eine große Schwäche: Es ignoriert die nukleare Bedrohung. Nicht nur London, sondern auch Berlin wurde von Medwedjew & Co. bereits nuklear bedroht.
Grossbritannien
Es erscheint bemerkenswert, dass die Briten – obwohl sie durch den Ärmelkanal geschützt sind und weiter von Russland entfernt sind als wir – das Thema sehr ernst nehmen. Dabei folgen die Briten nur dem Vorbild der nordischen Staaten, die sich noch weit intensiver auf den Ernstfall vorbereiten.
Anstatt nur Papier zu beschriften und interministerielle Gespräche zu führen, hat die Regierung kürzlich eine Warnung herausgegeben, wonach sich das Land „aktiv auf die Möglichkeit vorbereiten muss, dass das Vereinigte Königreich einer direkten Bedrohung ausgesetzt sein könnte, möglicherweise in einem Kriegsszenario“. In einer neuen nationalen Sicherheitsstrategie wird die Notwendigkeit einer „gesamtgesellschaftlichen Anstrengung“ zur Stärkung der nationalen Widerstandsfähigkeit und Sicherheit betont.
Großbritannien muss sich auf die Möglichkeit eines Krieges mit Russland innerhalb der nächsten fünf Jahre vorbereiten, warnte der ehemalige Chef der britischen Armee. General Sir Patrick Sanders. Die britische Regierung müsse schnell handeln, um die nationale Widerstandsfähigkeit zu verbessern, sagte er gegenüber The Telegraph.
Aufruf zur zivilen Widerstandsfähigkeit: Der ehemalige Chef der britischen Armee, General Sir Patrick Sanders, hat darauf hingewiesen, dass Großbritannien im Vergleich zu Ländern wie Finnland über keine robuste zivile Schutzinfrastruktur (wie unterirdische Bunker) verfüge. Er plädiert für eine verstärkte Aufklärung der Öffentlichkeit, eine Verbesserung der Luftabwehr und ein breiteres nationales Engagement im Bereich der Vorsorge und verweist dabei auf die Bemühungen in Schweden und Finnland, wo die Bürger Broschüren und Leitfäden für Krisensituationen erhalten.
Aktueller Stand: Trotz historischer Präzedenzfälle und Planungen deuten aktuelle Berichte darauf hin, dass es keinen aktiven nationalen Plan für eine vollständige zivile Mobilisierung im Kriegsfall gibt, was Veränderungen in der Einschätzung der Bedrohungslage und den Prioritäten der Regierung widerspiegelt.
Auch in Großbritannien gibt es daher Forderungen nach mehr Zivilschutz als derzeit bereitgestellt wird. Das Bewusstsein für die Dringlichkeit der Lage ist jedoch viel stärker entwickelt als in Deutschland, das vergleichsweise noch den Schlaf der Gerechten pflegt.
Heinrich von Loesch
.