Italien: Wer den Job nicht kaufen kann, bleibt arbeitslos
Bei Roms Müllabfuhr AMA bewerben sich so viele um einen Arbeitsplatz, dass die AMA sich Akademiker aussuchen kann. Doch das ist nur ein Teil der Wirklichkeit. Ein paar von der Polizei abgehörte Telefongespräche enthüllten nämlich, dass Jobs bei der AMA gekauft werden können.
Eine Dame, die sich für 17.000 Euro eine Arbeit als Müllkutscherin gekauft hatte. beklagte sich, weil man ihrem Gespons nicht für weitere 9.000 Euro einen Posten geben wollte, wo doch insgesamt 26.000 Euro genug Geld für zwei seien. Nicht nur Posten werden verkauft, auch für Beförderungen muss bei der AMA gezahlt werden, oder man muss Mitglied der Gewerkschaft CISL sein, deren Vertreter nicht nur die Personalpolitk der städtischen Organisation beherrschen, sondern angeblich auch die Ausschreibungen für den Kauf neuer Fahrzeuge profitabel steuern.
Ein Sumpf der Korruption?
Nein, eher die Norm in weiten Teilen Italiens. Gaetano Serrano, ein junger Unternehmer, ist von Neapel nach Spanien ausgewandert, um dem heimischen System zu entgehen. “Das Modell Italien lässt Dich glauben, dass ein Arbeitsplatz ein Luxus ist, während er doch ein Recht darstellen sollte.” Schon seit Jahrzehnten werden in Neapel unbefristete Arbeitsplätze in staatlichen Versorgungsbetrieben verkauft.
Genauso normal ist es, dass Unternehmer von Kollegen gefragt werden, “An wen zahlst Du?”, wie Serrano berichtet, ein Hinweis auf Erpressung durch mafiose Banden. Serrano weiss, wovon er spricht. Der junge Mann aus Capodimonte arbeitete in Neapel als Verkäufer in Wochenmärkten, als Versicherungsvertreter, als Maurer, Fabrikarbeiter, Kellner und Hochzeitsfotograf. Ein echt neapolitanischer Werdegang: ein Dutzend Berufe gelernt, keinen richtig. “Neunzig Prozent dieser Jobs bedeuten unterbezahlte Schwarzarbeit”, sagt Serrano. “Als ich noch in Neapel lebte, kannte ich einen Freund, der 20.000 Euro für eine unbefristete Arbeit in einem grossen Supermarkt zahlte, um ein Gehalt von 800 Euro im Monat zu erhalten.”
Wer meint, solche Auswüchse der Ausbeutung seien halt ein Symptom der Unterentwicklung des italienischen Südens, irrt. In Turin, der Industriestadt des Nordens, ist soeben ein Skandal aufgeflogen. Akademisch qualifizierte Krankenpfleger wurden in privaten Kliniken als Arbeiter angestellt. Tagsüber arbeiten sie als Pflegepersonal, nachts als Reinigungskräfte. “Alle Räume müssen sauber und wohlduftend gehalten werden, auch die Aufzüge müssen geputzt werden”, heisst es in der Dienstvorschrift. Bruttogehalt 1000 bis 1100 Euro.
Arbeit -- eine Kostbarkeit
Richtige Arbeit mit Dauer-Vertrag ist in Italien eine Kostbarkeit. Am besten schneidet laut einer neuen Studie Bozen ab, wo 71 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung tatsächlich arbeitet. In Vibo Valentia in Kalabrien sind nur 34 Prozent der 15 bis 64-Jährigen beschäftigt. In Cosenza, ebenfalls in Kalabrien, sind 84 Prozent der jungen Frauen ohne Arbeit. Böse sieht es im Süden aus, was die Qualifikation der Arbeitskräfte anlangt. In Agrigent in Sizilien weisen nur 28 Prozent der Beschäftigten eine volle berufliche Ausbildung auf.
Widerstand gegen Ausbeutung und Klientelismus leisten viele Arbeitskräfte, indem sie sich mittels ärztlicher Atteste von den unangenehmen Aspekten ihrer Tätigkeit suspendieren lassen. In Palermo beispielsweise sind 270 Strassenreiniger von der Strassenarbeit befreit – sie schieben Dienst am Schreibtisch. In Kalabrien sitzt über die Hälfte der Mitarbeiter des sanitären Dienstes im Büro, ebenso wie die Hälfte des öffentlichen Schutzdienstes, der auch für den staatlichen Fuhrpark verantwortlich ist.
Ein Attest -- ich brauche ein Attest!
In ganz Italien sind 12 Prozent des staatlichen Sanitätsdienstes, rund 80.000 Personen, zumeist Frauen, von Teilen ihrer Arbeitspflicht befreit. Sie verstecken sich, wird gespottet. In Mailand gelang es 4 von 5 Inspektoren der Obst- und Gemüsemärkte, deren Arbeitszeit von 3 Uhr morgens bis 8 Uhr reicht, sich von der Nachtarbeit befreien zu lassen.
Ein Römer Beamter wurde gefragt, wie er es begründet, dass er seine Arbeitszeit vor allem in der Kaffeebar seines Amtes verbringt, wo er per telefonino seinen privaten Geschäften nachgeht. Empört bedeutet er dem Frager: "Beh, faccio la presenza!" Ungefähr übersetzt: "Ich leiste immerhin die Anwesenheit!"
Italiens Verwaltung und Italiens Wirtschaft – eine unendliche Geschichte.
Benedikt Brenner
Die Handelskammer von Palermo sucht zwecks Gründung einer Genosssenschaft 15 Schuhputzer (sciuscia im Dialekt , lustrascarpe in italienisch) für ein festes Gehalt von 1000 bis 1200 Euro pro Monat. Arbeitsplatz: Bahnhof, Flughafen, Amtsgericht, usw. Unter den Bewerbern "auch viele Akademiker mit Diplom".