Wie die deutsche Regierung Fluchtursachen bekämpft
Frisch pensionierte Generäle kommentieren gerne als Experten in Talkshows die Strategie ihrer Regierung im gerade laufenden Krieg. Sie wissen stets, was falsch ist, und wie man es besser machen sollte. Doch es wäre taktlos, sie zu fragen, warum sie nicht ihrem eigenen Rat gefolgt sind, als sie noch in Amt und Würden waren.
Keinen General, sondern einen ehemaligen Ministerialdirektor im Entwicklungsministerium, liess die Süddeutsche Zeitung (8.4.16) zu den “Fluchtursachen in den Herkunftsländern” zu Wort kommen. Michael Bohnet darf erklären, welche “konkreten Massnahmen” in der deutschen “Entwicklungspolitik” möglich wären, um die “Ursachen von Flucht” zu bekämpfen. Da wird der ganze Waschzettel abgearbeitet, von der Forderung zur “massiven” (!)“Umschichtung der deutschen Hilfe auf die ärmsten Länder” (von 25 auf 50 %) und die “Überwindung der Jugendarbeitslosigkeit” bis zur “ökologischen Degradation”.
Wenn es nicht tragisch wäre, klänge es komisch, dass es bei Bohnet im Falle Eritreas heisst “Eine Arbeitsgruppe mit Mitgliedern beider Regierungen” (Deutschland und Eritrea) “wurde inzwischen ins Leben gerufen, um Möglichkeiten in der Berufsbildung und bei erneuerbaren Energien auszuloten”. Toll! Dass tausende junge Eritreer ihr Leben auf der Flucht durch Sudan, Libyen und das Meer nach Deutschland riskieren, weil die Bundesrepublik kein Konsulat in Asmara unterhält, wird nicht erwähnt. Die zuständige deutsche Botschaft befindet sich in Nairobi, was von Asmara aus gesehen ungefähr so nahe ist wie der Mond.
Als zweite “konkrete Massnahme” fordert Bohnet die “Stabilisierung der Flüchtlingslager in Libanon, Jordanien, im Irak und in der Türkei”. Super! Damit sie nicht nach Deutschland kommen, soll es den Flüchtlingen in den Lagern bequem gemacht werden. Was es mit Flüchtlingslagern im Nahen Osten auf sich hat, beschrieb germanpages.de – Deutsche Rundschau vor Jahresfrist (Der Blinde Fleck, 4/4/15):
“Das, was mit Flüchtlingslagern geschieht, wenn man sie nicht rechtzeitig auflöst, illustriert die Geschichte der Palästinenser. Die Sonderorganisation der UN für die Palästina-Flüchtlinge UNRWA schreibt: "When the Agency began operations in 1950, it was responding to the needs of about 750,000 Palestine refugees. Today, some 5 million Palestine refugees are eligible for UNRWA services."
Seit 1950 haben Millionen Palästinenser, die Tüchtigsten und Glücklichsten, die Lager verlassen, haben sich selbständig gemacht, sind in die Golfstaaten, nach Amerika und Europa ausgewandert. Trotz Jahrzehnten dieser weltweiten Diaspora gibt es immer noch die Lager. Sie sind immer noch voll von Menschen, die sich als Flüchtlinge bezeichnen, die der Hilfe bedürfen, über sechzig Jahre nach der Entstehung Israels. Eine schreckliche Tatsache, und ein Ergebnis der hohen Fruchtbarkeit der Palästinenser.“
Professor Bohnet entdeckt jedoch eine traurige Tatsache: “Das Weltflüchtlingswerk UNHCR und das Welternährungsprogamm WFP, die die Flüchtlingslager in Gang halten und unterstützen, sind massiv unterfinanziert, derzeit zu 50 Prozent”.
Vor einem halben Jahr schrieb germanpages.de – Deutsche Rundschau:
“Es ist schwer begreiflich, wie die Berliner Regierung die jetzige Völkerwanderung provozieren konnte, indem sie den Hilfsorganisationen vor Ort die Beiträge verweigerte, die sie brauchen, um die Lage zu stabilisieren, und gleichzeitig die Einladung an alle Syrien-Flüchtlinge aussprach, nach Deutschland zu kommen. ...Mit ein paar hundert Millionen Dollar hätte man dem Welternährungsprogramm erlauben können, die Flüchtlinge mit menschenwürdigen Mindestrationen zu versorgen. Mit 2,8 Milliarden Dollar könnte man UNHCR ermöglichen, den schwer belasteten Gastländern unter die Arme zu greifen. Mit einer weiteren Milliarde könnte Unicef die Not der Kinder in Syrien lindern und weitere Fluchtzwänge mindern. Berlin könnte, aber es will nicht. Tief in deutschen Politikern und bei den Verwaltungsbonzen wurzelt die Abneigung gegen Multilateralität. Warum sollte die deutsche Regierung im Alleingang die Budgetlücken der multilateralen Hilfsorganisationen füllen? " (Schwachsinnige Flüchtlingspolitik , 29/9/15)
Es ist bedauerlich, dass ein Blatt wie die Süddeutsche Zeitung der Regierung und ihren Apologeten Raum für ihre Heuchelei bietet. Dabei wusste sie es besser : “Am 27. November gelangte auch die Süddeutsche Zeitung in einem Kommentar von Heribert Prantl “Knickrigkeit als Fluchtursache” zu der Erkenntnis, “was wirklich hülfe, wird nicht getan: die Flüchtlingslager in den Regionen nahe Syrien so auszustatten, dass Flüchtlinge dort leben können.” (sic) “
Dazu schrieb germanpages.de – Deutsche Rundschau: “Wäre das der SZ ein paar Monate früher eingefallen, so hätte sich vielleicht noch etwas in der übrigen Presse und in Berlin bewegt. Stattdessen: nichts. Deutschland diskutiert zwar erregt die Flüchtlingsfrage, Berlin aber wurstelt weiter mit seiner Flüchtlingspolitik und Kanzlerin Merkel versucht, im starken Gegenwind wenigstens teilweise das Gesicht zu wahren. In den Lagern in der Türkei, im Libanon und in Jordanien herrscht weiter das Elend, wie Prantl zurecht moniert. Noch schlechter geht es denen, die keinen Platz in den Lagern finden und sich auf der Strasse durchschlagen.“ (Geiz weiterhin Fluchtursache, 28/11/15)
Doch ganz hoffnungslos ist die deutsche “Entwicklungspolitik” nicht, denn Bohnet sagt: “Längerfristig müsste auch ein Rückkehrerprogramm konzipiert werden, anknüpfend an die positiven Erfahrungen, die Deutschland bei den Rückkehrerabkommen mit Chile 1990 und Vietnam 1995 gemacht hat”.
Na, dann konzipiert mal schön.
Heinrich von Loesch